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Thomas Ruff - Oberflächen, Tiefen: Nichts

Bevor wir hier anlässlich einer Ausstellung, die den Titel „Oberflächen, Tiefen“ trägt, auf Clement Greenberg hinweisen oder auf einen kürzlichen Sachbuchbestseller namens „Die Welt ist flach“, halten wir es mit Georg Christoph Lichtenberg: „Unsere Sinne zeigen uns nur Oberflächen“, heißt es in seiner Schrift „Über Physiognomik“, Lichtenbergs spezieller Abrechnung mit Johann Caspar Lavater und dessen Methode, aus Antlitzen Charaktere abzuleiten: „Alles andere sind Schlüsse daraus.“ Nichts einfacher als das, ziehen wir sie, die Schlüsse. Und sehen wir uns vorher die Oberflächen an. Nehmen wir die Blow Ups von Köpfen, mit denen Thomas Ruff, um den es hier geht, seine Karriere begann, Köpfen von Kommilitonen aus der Düsseldorfer Akademie oder von dem, was man eine Szene nennt, unbekannt gebliebene oder selbst zu Zelebritäten gewordene wie Isabelle Graw, Köpfen ins Groteske hinein überdimensioniert, mit jeder Pore präsent. Blicken wir weiter auf die Architekturfotos, jene aus den Achtzigern, in denen der hässlichen Beiläufigkeit von Zweckbauten gehuldigt wird, oder späteren, die der beiläufigen Hässlichkeit von Herzog und de Meuron und damit einer eigenen Zelebrität gewidmet sind. Schauen wir uns die Aufnahmen mit der Nachtsichtkamera an oder jene, bei denen mehrere Gesichter übereinandergelegt sind und eine Art von Phantombild aufhäufen. Wenden wir uns endlich den Großformaten zu, die im Hauptsaal der Kunsthalle zur Präsentation gekommen sind. Es sind Beispiele jüngster Produktion, „Cassini“ die einen genannt, die auf Abbildungen zurückgehen, die die NASA ins Internet gestellt hat, um zu zeigen, wie der Saturn sich mit seinem Ring und seinen Monden ins Verhältnis setzt. Die anderen heißen in seltsamer Buchstabierung „Zycles“, und sie führen Kurvenbahnen vor, Kreissausschnitte, hyper- und parabolische Lineaturen, die sich in freundlicher Abstraktion über das Karree ziehen. Ziehen wir sie also, die Schlüsse von der Oberfläche zur Tiefe und wieder zurück. Oder besser, lassen wir es Lichtenberg tun: „Wenn das Innere auf dem Äußeren abgedrückt ist, steht es deswegen für unsere Augen da? Und können nicht Spuren von Wirkungen, die wir nicht suchen, die bedecken und verwirren, die wir suchen? So wird nichtverstandene Ordnung endlich Unordnung, Wirkung nicht zu erkennender Ursachen Zufall, und wo viel zu sehen ist, sehen wir nichts.“ So wird es sein. Wir sehen nichts.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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Thomas Ruff - Oberflächen, Tiefen
21.05 - 20.09.2009

Kunsthalle Wien Museumsquartier
1070 Wien, Museumsplatz 1
Tel: +43 1 521 89-0
Email: office@kunsthallewien.at
http://www.kunsthallewien.at
Öffnungszeiten: Di-So 10-19, Do 11-21 h


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