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... Madrid - eine Reise zur Kunst an den Rand

Aus der Distanz, von außen oder oben, lassen sich die Dinge besser überblicken, bisweilen sogar neu entdecken. Das gilt nicht minder für die Kunst und den Kunstmarkt, allemal für ein urbanes 4-Millionen-Phänomen wie Madrid. Die dortige Kunstmesse Arco sieht sich selber, hinter Basel und Miami, gerne auf Platz 3 des internationalen Kunstmesse-Podests, also noch vor Londons Frieze und der Pariser Fiac. Zumindest der meteorologische Vorfrühling hat es 2009 mit Madrid gut gemeint. Draußen Sonne zum Verweilen, innen allerdings Zurückhaltung, begleitet von Teilnehmerzahlen und vorzeigbarem Sammlervolk unter Tiefdruckeinfluss. Also derzeit marktübliche Stagnation a la „Überleben ist alles“. Selbst die Nachbarn aus Portugals Galerienszene kamen im letzten Augenblick – mit staatlicher Stütze. Und die Bilder sagten mal wieder mehr als 1000 Worte: ein Verharren irgendwo zwischen der weit aufgerissenen Hai-Schlund-Zeichnung Robert Longos, einem bitterbösen Plastik-Homunkulus Eugenio Morenos, die den Preistreiber-Künstler Damien Hirst beim finalen Schläfen-Schuss zeigt, und dem Beuys-Zitat „Mit dem Ende der modernen Kunst fängt die Kunst erst an“. Fast passend dazu hörte man von etlichen verzagt-unverzagten Jetzt-erst-recht-Galeristen, eben noch genervt von der 2009-er-Frage nach dem „Rezessions-Rabatt“, dass es „endlich wieder um die Kunst“ gehe. Tja Leute, worum ist es denn dann vorher gegangen...? Da bekommt man ja fast schon Furcht vor dem Ende der Krise. Also in diesem mauen madrilenischen Arco-Jahr hinsichtlich der Suche nach der Kunst wohl besser hinaus ins Leben, wie gesagt an den Stadtrand, um den Blick zu klären. Die sozial verschatteten Ränder Madrids bieten im Viertel Carabanchel zumindest die versuchte Moderne-Anmutung eines dörflich-enggassigen Pueblos: verschachtelter Interaktions-Charakter in geweißtem Beton, Terrassen-Ausguck inbegriffen – also eine Sozialbau-Fiesta ohne Ende? Wohl kaum. Stattdessen schon im ersten Jahr motzende Bewohner, wohin man hört. Das Los-Verfahren bescherte das günstige, öffentlich subventionierte Eigentum: jedoch letztlich zu eng und beklemmend – und nach einem Jahr schon feucht, rostig, inbegriffen geschenkte Tiefgarargen-Parkplätze ohne praktischen Twingo-Nährwert: zu eng. Ein dennoch interessantes Konzept mit leider minderwertigem Baustoff-Faktor. Vom Thema Banken und drückende Hypotheken mal ganz zu schweigen. Doch auch junge Randbereiche bildender Kunst, wie das im vergangenen Jahr mit 1 Mio. Jahresetat von der Region Madrid auf den Weg gebrachte Centro de Arte Dos de Mayo in Mostoles, eine reinrassige Stadtrand-Kulturförderung für junge spanische Künstler, müssen 2009 mit deutlich weniger auskommen. Die Nachbarn kommen erst allmählich in den Bau, der sich wie ein Mini-Ufo zwischen die traditionellen Geschäfte und Wohnhäuser geschoben hat. Der Auftakt mit Konzeptkunst ging daneben, ein museumspädagogischer Versuch, die Tortilla einmal mit Sojasauce zuzubereiten (Spanier, öffne Dich!) bereitete allen schon erheblich mehr Freude. Eine ganz andere Rand-Situation offenbart sich, als glanzvoll verglastes „Distrito C“- Areal, in Form des neuen „Telefonica“-Headquarters. Der globale Kommunikationsriese, nebst Architekt und Verwaltungsbau-Experte Raffael de la Hoz, bietet den 12 000 Mitarbeitern auf insgesamt 367 000 Quadratmetern, all dies bei optimalem Sonnenschutz und pfiffigster Solarnutzung, immerhin über 80 Cafeterias – da kann man nicht meckern. Dazwischen eine Begrünung der Baumschul-Sorte „Richt euch!“. Nicht minder zählt die „Fundacion Telefonica“ zu den großen Kultur- und Kunstförderern im Lande. Stiftungs-Chef Francisco Serrano:“ Wir garantieren umsatz- und börsenunabhängig auch für 2009 etwa 55 Mio. Euro, davon 85 Prozent für Bildungsprojekte und 15 Prozent für die Kunstförderung“. So hatte man etwa kurz zuvor den Digitalkunstpreis „Vida 11.0“ verliehen: im überdimensionierten „Matadero“ , dem ehemaligen Schlauchthaus-Destrikt von Madrid, für den die Stadt immer noch kein schlüssiges Gesamtkonzept hat. Philip Beesly und Rob Gobert aus Kanada wurden ausgezeichnet für eine Art hochtechnoide Sommernachts-Traum- Kulisse: der Zauberwald reagiert auf Berührung - und der DJ ließ es dazu wabern. Inzwischen ist man vom futuristischen neuen Konzern-Zentrum am Stadtrand wieder mitten im vulgärsymphonischen Verkehrslärm von Zentral-Madrid angelangt. Jetzt also der Blick von oben. Serrano schaut aus dem 13.Stockwerk des alten Telefonica-Wolkenkratzers an der Gran Via 28. Im Jahr 1929 war er das höchste Gebäude Europas. Aus dem alten holzvertäfelten Konferenzraum der heutigen Kunst-Stiftung wurden im Spanischen Bürgerkrieg die Truppen Francos beschossen. Das architektonische Art Deco-Juwel wird derzeit für die kulturelle Öffentlichkeit hergerichtet. Ein Ausstellung der heute 75-jährigen Portugiesin Helga Almeida ist bereits möglich und wird für manchen zur Entdeckung poetischer Fotokunst. Dies geschieht über die Inszenierung des Künstlerinnen-Körpers, wobei seit 40 Jahren Helga Almeidas Ehemann auf den Auslöser drückt. Je älter, desto besser muss man zu den Bildfindungen für eine kreativ alternden Körpersprache feststellen. In Deutschland zählt „O 2“ zum Besitz des hierzulande weniger bekannten Telefonica-Riesen, und kulturelles Engagement auch auf deutschem Boden wird in der Münchner Zentrale bereits sehr konkret angedacht. Abseits der gerade aus London übernommenen Bacon-Retrospektive im Prado (bis 19.April) und einer Doppelausstellung zum Schatten in der Kunst, die sich das Museum Thyssen-Bornemisza und die Stiftung Caja Madrid (bis 17.Mai) teilen, ist es wiederum der hier schon dörfliche Stadtrand Madrids, in Mejorada del Campo, der alles in den Schatten stellt. Pater Justo Gallego baut hier gleichsam seit 40 Jahren göttliche Outsider-Art, etwas, das inzwischen gewaltige Schatten zu werfen in der Lage ist. Aus Bauschutt, Alltagsmüll, Spenden und übrig gebliebenen Baumaterialien ist inzwischen ein gewaltiges Kathedralen-Kuriosum mit hohen Türmen entstanden. Der inzwischen über 80-jährige Don Gallego hat dies mit den eigenen Händen und wenigen Helfern geschaffen, allen Baugenehmigungen und Bürgermeistern zum Trotz. Im Kryptabereich, an dem gerade gewerkelt wird, erlebt man das wirkliche Glück: ihm die Hand geben zu dürfen - ein Stück unbeirrbares Leben, das sich inzwischen zu einem lebendig rauhen Ziegel seiner Kirche verwandelt zu haben scheint. Auf den naheliegenden Vergleich zur Gaudi-Kathedrale in Barcelona angesprochen, hat er einmal gesagt: „Ich bin doch kein Künstler, ich bin ein Arbeiter“. Ein Kunst-Erlebnis, das die Arco nicht zu bieten hat. Dazu das Geklapper der Störche von Justo Gallegos Türmen. Im März ist auch das eine Kunst, in jedem Fall eine Gunst.
Mehr Texte von Roland Groß

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