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Bonbonnière des Herrn

Wie soll sich ein Gotteshaus im dritten Jahrtausend unserer Zeitrechnung in einer Umgebung aus zeitgenössischen Wohn- und Geschäftshochhäusern verhalten? Die gotische Rolle des Fingerzeigs Gottes und der weithin sichtbaren Orientierungs- und Landmarke erübrigt sich; den Part der monumentalen schimmernden Glaskuben nehmen bereits Multiplexe und sonstige Entertainmentcenter ein. Heinz Tesars Kirche in der Donaucity präsentiert sich als mit Stahlplatten verkleideter flacher Quader mit kleinen runden Öffnungen. Er gräbt sich teilweise in den Boden ein und versteckt die Glocken in einem offenen Gestell fast hinter sich. Das Gebäude, das sich von außen gegen das Primat der Grundflächenausnutzung panzern zu müssen scheint, geht den hier einzig gangbaren Weg des Understatements im Sinne von Adolf Loos: Wenn alle durcheinanderschreien, hört man keinen mehr. Die Abschottung nach außen macht neugierig auf das Innen, das in seiner kompletten Holzverkleidung Wärme nicht zuletzt mit einer sorgfältigen Lichtregie vermittelt (wenn auch das helle Material im Detail gelegentlich wie aus der Designabteilung von Leiner wirkt). Die verzogenen Gewände der Rundluken, die die Außenwände regelmäßig durchsetzen, schaffen eine zusätzliche Distanz zum Draußen, das allerdings über Glasquader an den oberen Gebäudeecken mit dem Innenraum verbunden bleibt. Die Ecken sind dabei nach innen geklappt, so dass der Grundriss in Traufhöhe auf ein gedrungenes Kreuz zurückgeführt wird. Ein weiteres auf die Bestimmung als Gotteshaus hinweisendes Detail ist das wundmalartig eingeschnittene Deckenfenster. Als Ort der Kontemplation und Oase der Ruhe ist der Bau freilich auch ohne diese Konnotationen lesbar. Als kubische Box mit musterartig verteilten regelmäßigen Luken ohne Stockwerks- oder Axialbezug verweist er - bewusst oder unbewusst - ikonologisch auch auf ein anderes, zugrundegegangenes Wiener Gotteshaus: Arthur Gruenbergers Hietzinger \"Neue-Welt-Tempel\", ein Musterbeispiel des Art Déco in der Nachfolge Josef Hoffmanns, das in der \"Reichskristallnacht\" 1938 zerstört wurde. Eigentlich keine schlechte Form von Auferstehung. Heinz Tesar, Kirche Christus Hoffnung der Welt Donaucitystr. 2, A-1210 Wien
Mehr Texte von Iris Meder †

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