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Notation. Kalkül und Form in den Künsten: In der Frühzeit sonischer Bildsysteme

Die Attraktivität retrospektiver Auseinandersetzungen mit den ideellen Vorbedingungen des Medienzeitalters steigt. Höchste Noten von der Kritik erhielt daher „Notation – Kalkül und Form in den Künsten“ nach ihrem Startschuss an der Berliner Akademie der Künste. Jetzt läuft die um einiges erweiterte Fassung der Ausstellung am ZKM in Karlsruhe. Sie eröffnet sensationelle Einblicke in jene Pionierzeit der Kunstgeschichte, wo wissenschaftliche Experimente und die Formen mathematischer Abläufe mit künstlerischen Konzepten zusammenkommen. Wenn Etienne-Jules Maray 1880 beginnt, die Photographie als Aufzeichnungsgerät zu verwenden, um Bewegungen in Raum und Zeit zu verdeutlichen, dann ist es nicht mehr weit zu den abstrakten Bildfolgen des großen Film-Avantgardisten Oskar Fischinger. Dessen Konzepte musikalische Komposition und visuelle Abfolgen in Kongruenz zu setzen, erschließen die Wege zu den heute selbstverständlich gewordenen Verschaltungen von Sound mit bewegtem Bild über die digitale Matrix in Kunst, Musik und Club Culture. Die Ausstellung am ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie fokussiert allererste Entstehungsprozesse auf diesem Gebiet und widmet sich Grammatiken und Codierungsprozessen im Makrobereich der Kader und Glissandi. Konzipiert ist sie als mehrschichtiges Puzzle. Werke aus Musik, Malerei, Choreografie, Architektur, Fotografie, Film seit 1900 und natürlich der nachfolgenden digitalen Kunst werden auf ihren Charakter als diffiziles Zeichensystem zurückgeführt und über ihre linguistischen Eigenschaften in Beziehung gesetzt. Das ideengeschichtlich gewobene Projekt mit Entwürfen so unterschiedlicher ProtagonistInnen wie John Cage, Walter Benjamin, Mary Wigman, Ezra Pound und Marcel Broodthaers, Allan McCollum und Mel Bochner oder Edgard Varèse und Iannis Xenakis evoziert vergleichende Lesarten einer genresprengender Kunstproduktion. Dass dieses Aufsuchen morphischer Resonanzen manche Spuren der Entwurfsprozesse selbst in den Status autonomer Kunstwerken hebt, mag verwirren, doch erleichtert eine derart extensive Betrachtung die Freilegung von Source Codes als Permutationsketten im Sinne des von Friedrich Kittler forcierten Begriffs der Aufschreibesysteme. Was die VordenkerInnen neuer ästhetische Ausdrucksformen nämlich am wenigsten vor Auge hatten, waren Rücksichtnahmen auf der Ebene von Tradition oder Technik. Unabhängig von den jeweils zeitbedingten Dispositiven der Aufzeichnung verfolgt die Ausstellung “Notation“ des Bildwissenschafters Hubertus von Amelunxen, des Künstlers Dieter Appelt und des Medientheoretikers Peter Weibel mit ihren rund 500 Positionen von über 100 KünsstlerInnen Aufbrüche zur Integration der Apparate in die künstlerische Produktion, was schließlich zur aktuellen Etablierung von Sonic Visual Acts im Kontext der bildenden Kunst führte. Selbstverständlich regt dies an, die Ausstellung an allen Ecken und Enden weiter zu denken; ja, sogar dazu, sie als unvollständig zu empfinden. Doch nach „Sons&Lumieres“ im Pariser Centre Pompidu 2002 handelt es sich um das unüberbietbar größte Projekt dieser Art begleitet von einem Katalog, der mit seinem vermittelnden Theoriematerial auch als eigenständige Publikation funktioniert.
Mehr Texte von Roland Schöny

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Notation. Kalkül und Form in den Künsten
01.03 - 26.07.2009

ZKM - Zentrum für Kunst und Medientechnologie
76135 Karlsruhe, Lorenzstraße 19
Tel: +49-721-8100-0
Email: info@zkm.de
http://www.zkm.de
Öffnungszeiten: Mi - Fr, 10-18 Uhr | Sa - So, 11-18 Uhr


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