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Kunstvolle Schatten, wiederentdeckt

Obwohl die Zeit von Wien um 1900 schon so lange erforscht wird, wissen wir noch längst nicht alles über sie. Das belegen eindrucksvoll zwei gerade erschienene Bildbände über erst kürzlich wiederentdeckte Fotos aus dem alten Wien. In der einen Publikation geht es um handkolorierte Farbdias mit Wiener Straßen- und Volksszenen von Fotografen wie Otto Schmidt und Emil Mayer, in der anderen um die zu ihrer Zeit niemals publizierte künstlerische Schwarzweißfotografie des Secessions-Mitglieds Ferdinand Schmutzer. „Wien. Die Welt von gestern in Farbe“ enthält mehr als 300 Abbildungen von bis vor kurzem unbekannten Diapositiven aus einem raren historischen Bestand des Österreichischen Volkshochschularchivs, der erst vor einigen Jahren wiedergefunden wurde. Miniaturmaler hatten den Großteil der insgesamt etwa 60.000 für Lichtbildervorträge hergestellten Glasdias zu ihrer Entstehungszeit handkoloriert, was einen hohen Grad an dokumentarischer Authentizität verspricht. Das Lebensechte und das Künstliche halten sich in diesen Bildern auf ganz verführerische Art die Waage. Sind die Farben auch manchmal ein wenig dick aufgetragen, so können die Bilder doch sehr faszinieren. Das gilt nicht allein für die in Farbe noch unmittelbarer wirkenden Praterfotos des Amateurfotografen Emil Mayer mit Wiener Typen aus dem richtigen Leben, sondern auch für die Ablichtungen von Wiener Örtlichkeiten und Einrichtungen, die es in vielen Fällen nicht mehr gibt: das alte Diana-Bad, die Rotunde oder der 2-PS-Omnibus. Die Farbe – und sei sie auch nachträglich hinzugefügt – kommt den Sehgewohnheiten so entgegen, dass sie uns die Bilder aus der Welt von gestern ein ganzes Stück näher heran zu holen scheint. Nicht weniger faszinieren die edlen Schwarzweißfotos des Radierers und Malers Ferdinand Schmutzer, die erst vor wenigen Jahren auf einem Dachboden entdeckt wurden und seit 2003 dem Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek gehören. Im eben erschienenen repräsentativen Band „Ferdinand Schmutzer. Das fotografische Werk 1894–1928“ sind etwa 100 davon abgebildet: Porträtaufnahmen von Mitgliedern der Wiener Gesellschaft, anmutige Familienbilder und dokumentarische Reisefotografie. Der als technisch versierter Radierer bekannt gewordene Schmutzer hat wohl zu fotografieren begonnen, um durch Fotovorlagen die große Anzahl von Aufträgen für Porträtradierungen schneller bewältigen zu können. Das würde auch erklären, warum er seine Fotos nie selbst veröffentlichte. Licht und Schatten setzte Schmutzer gerne nach dem Vorbild der Alten Meister ein, während er die medienspezifische Qualität der Unschärfe atmosphärisch zu nutzen verstand. Dem bildmäßig Komponierten vieler Fotos steht so fast immer der Charme des unwiederbringlich vergangenen, nur noch im Foto weiter existierenden Augenblicks gegenüber. Auf diese Weise gestaltete er leicht lesbare Bilder von großer Unmittelbarkeit, die immer Interesse wecken, ob es sich nun um intime Fotos des familiären Glücks mit seiner Frau Alice und den Kinder handelt, um die charmant zwanglosen Aufnahmen auf einer Biedermeier-Gartenparty bei Wittgensteins, um die meist etwas formelleren Promi-Porträts (u.a. von Sigmund Freud, Albert Einstein oder Rudolf von Alt) oder um Fotos von holländischen Bauern in Holzschuhen. Die Entdeckung Ferdinand Schmutzers als Fotograf fügt dem imaginären Fotoarchiv der Zeit von Wien um 1900 einige sehr reizvolle Facetten hinzu.
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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