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Recollecting. Raub und Restitution: Entzogenes Leben

Im MAK wird seit 3. Dezember der Versuch unternommen, den nationalsozialistischen (Kunst-) Raub an der jüdischen Bevölkerung und den Restitutionsprozess der Republik Österreich nach 1945 anhand von 17 Einzelschicksalen und Objektgeschichten zu dokumentieren. Ausgangspunkt ist die so genannte Mauerbach-Auktion von 1996, bei der die Israelitische Kultusgemeinde mit Hilfe von Christie’s in den Räumen des MAK „herrenloses Gut“ - NS-Raubkunst, bis dato in den Beständen des Bundesdenkmalamts - versteigerte. Der Bogen spannt sich vom entscheidenden Kunstrückgabegesetz von 1998 bis zu gegenwärtig restituierten Objekten und Sammlungsteilen. Zwischen den Fallgeschichten, präsentiert in Form von metallenen Stelen, zeigen zeitgenössische Künstler wie Carola Dertnig, Ines Doujak, Rainer Ganahl u.a. ihre künstlerischen Assoziationen dazu. Den Anfang machen Sophie Lillie und Arye Wachsmuth mit ihrem Video „Retracing the Tears“, das die Rückseiten der bei der obengenannten Auktion versteigerten Kunstwerke mit den Besitzerkürzeln zeigt. Damit wird offen gelegt, dass der Bund bereits 1996 oder früher die rechtmäßigen Eigentümer bzw. ihre Erben der betreffenden Kunstwerke ermitteln hätte können. Bedauern darüber, wie spät geraubte Dinge restituiert wurden und wie mühevoll der Kampf mit der österreichische Bürokratie war, um an sein Eigentum zu kommen, klingt in den zahlreichen Interviews durch, die meist als Videos in der Ausstellung zu sehen sind. Nicht nur die Betroffenen erzählen mehr oder minder bewegt davon, sondern auch Provenienzforscher wie Sophie Lilie, Michael Wladika oder der Rechtsanwalt Alfred Noll. Man gewinnt den Eindruck, dass sich Betroffene und Forscher noch im Nachhinein dafür schämen, wie ungerecht die Republik Österreich nach ’45 mit den Opfern des Nationalsozialismus verfuhr. Liest man im Parcours der Stelen Fallgeschichten wie die von Otto Brill und seiner Sammlung, so ist dieses Gefühl nachvollziehbar. Brill, Inhaber einer Treibriemenfabrik in Wien, wurde kurz nach dem „Anschluss“ von der Gestapo verhaftet und unter Androhung der Überstellung ins KZ Dachau aufgefordert, seine Vermögenswerte und seine Fabrik den Behörden überlassen. Es gelang ihm, sich und seine Familie ’38 in Großbritannien in Sicherheit zu bringen. Brill war Kunstsammler und Teilhaber der Galerie Würthle. Seine Urenkelin erzählt im Video von dem langwierigen Prozess der Restituierung, während dem ihre Großmutter starb, bis 2001 acht Kunstwerke aus der Albertina zurückgegeben wurden. Carola Dertnig nimmt diese Geschichte zum Anlass für ihre Arbeit „Sammlung Brill – Fragen zu 28033 und 28034“: sie projiziert die Katalognummer in Form von Dias an die Wand, wobei sich die Provenienz zweier Werke aus den Unterlagen der Albertina nicht eindeutig ergibt. Von ihnen zeigt sie die Abbildungen – ein Aquarell von Herbert Boeckl und eine Zeichnung von Stefan Pichler, die wahrscheinlich zur Sammlung Brill gehörten. Dertnig lässt damit Raum für die Frage, wie diese Werke den Besitzer gewechselt haben könnten, etwa als „Gratisdraufgabe“ bzw. als „Geschenke“ an die Gestapo. Dass Erinnerungen und Besitztümer der verfolgten Generation deren Nachkommen auch zu Unzeiten „überfallen“ können, beschrieb bereits Günther Anders in seinem 1948 in den USA entstandenen Tagebuch „Lieben gestern“, als er sieben Fässer und Kisten mit dem Gut seiner ermordeten Eltern in Empfang nehmen musste. Wie mag es wohl Lilly Bial ergangen sein, als sie 2004 als betagte Dame in England von der Existenz einer Schachtel mit Erinnerungsstücken ihrer Kindheit erfuhr, die ihre Eltern für sie zusammengepackt hatten? Sie selbst konnten die Eltern 1939 mithilfe eines Kindertransportes nach Großbritannien retten, ihnen gelang die Ausreise nicht mehr. Sie wurden 1942 deportiert und in Auschwitz ermordet. Die Schachtel ist nun in der Ausstellung im MAK zu sehen. Angefüllt mit Fotos, Puppengeschirr, Mokkabohnenschachteln und vielem mehr, ist sie wohl eines der berührendsten Stücke der Ausstellung und zeigt, dass ein Ausstellungsobjekt jenseits aller Historie auch ein Dokument für die „Entmenschlichung“ (Felicitas Heimann-Jelinek) einer Gesellschaft sein kann.
Mehr Texte von Susanne Rohringer

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Recollecting. Raub und Restitution
03.12.2008 - 15.02.2009

MAK - Museum für angewandte Kunst
1010 Wien, Stubenring 5
Tel: +43 1 711 36-0, Fax: +43 1 713 10 26
Email: office@mak.at
http://www.mak.at
Öffnungszeiten: Di 10-21, Mi-So 10-18 h


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