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Einstimmig staatstragend

Als „Büro der Demokratie“ bezeichnete Friedrich Achleitner, der Doyen heimischer Architekturkritik, den Nationalratssitzungssaal im Parlament, dem er hohe gestalterische Qualität zubilligte. Seine bauliche Hülle - ein Masterpiece der Ringstraßenarchitektur von Theophil Hansen – ist edel, sein symbolischer Wert hoch. Ihr verpassten die Architekten Max Fellerer und Eugen Wörle einen Saal, in dem sich die Form der Arena mit visueller Durchlässigkeit paart. Seine holzfurnierten Galerien und angrenzenden Coloirs boten ein Ambiente, das sich voll mit dem parlamentarischen Selbstverständnis der Aufbaugeneration deckte. Seit 1956 ist der Saal in Betrieb, viele hitzige Debatten hinterließen deutliche Spuren der Abnutzung in den engen Reihen. Von behindertengerecht keine Rede, auch Akustik, Technik und Klima sind im argen. Upgedatet und barrierefrei, sollte eine reorganisierte, ergonomisch bestuhlte Sitzordnung mehr Komfort, Demokratiebewusstsein und frischen Wind ins Parlament bringen, ohne dabei über den Denkmalschutz hinwegzufegen. Außerdem waren mehr Kommunikationszonen, optimierte Wege und eine Entflechtung zwischen temporären Zaungästen und der ständigen Belegschaft gefragt. Für die zeitgemäße Neugestaltung des Saales wurde ein offener, zweistufiger Wettbewerb ausgeschrieben, 21 Architektenteams reichten ein, alle Projekte sind im nahen Palais Epstein zu sehen. Einstimmig entschied sich die Jury für den staatstragenden Entwurf der HEIDL Architekten. „Die hansen’sche Rahmenhandlung wird nicht zerstört, das Projekt ist zurückhaltend elegant,“ so deren Vorsitzender Boris Podrecca. Gezielt, aber sacht, interveniert es im Bestand, um ein „Podium für gewissenhafte Worte“ zu schaffen. Weiß lasierte Holzverkleidungen, eine in Stützen aufgelöste Rückwand und eine abgehängte Decke aus weiß lasierten Lamellen bilden eine ruhige Raumsymphonie in Weiß. Die Basis der Demokratie ist unterm Doppelboden: das Besuchsfoyer mit formoptimierten Baumstützen und Beleuchtungskuppeln im Keller. Der zweite Platz ging an die Katzberger ZT GmbH. Als symbolische Keimzelle der Nation setzten sie einen elliptischen Raum mit einer textil bespannten Rückwand in den stark entkernten Bestand. Durch die Oberlichtkuppel aus einer leichten Aluminiumkonstruktion könnte man von den sacht ansteigenden Sitzreihen direkt in den Himmel blicken. Das Büro Geiswinkler & Geiswinkler ließ eine Glasdecke über den Saal schweben, löste einen Teil des Bestands in Stützen auf und spannte zwischen raumhohen Glasfronten transparente Brücken über die Seitenhöfe. Ihr Projekt böte ein von Lufträumen, Liften und Galerien durchzogenes, offenes Raumgefüge mit vielen Blickbezügen und Bewegungsspielraum. Es kam auf Rang drei. Architekt Andreas Treusch kleidete die Erschließungskerne stromlinienförmig neu ein, verlegte Stiegen, Lifte und Garderoben für Besucher in die Seitenhöfe und stülpte eine gläserne Hülle über den Saal, vor der sich im Restaurant mit Dachterrasse wunderbar dinieren ließe. Das reichte für einen Ankauf, gebaut wird die staatstragende Version. Der Nationalrat setzt eben lieber auf sichere Bänke. Auch gestalterisch.
Mehr Texte von Isabella Marboe

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