Werbung
,

Wozu Geschichte?

Deutschlands Filmlandschaft hat eine neue Großproduktion. Uli Edels „Der Baader Meinhof Komplex“ nach dem gleichnamigen Buch von Stefan Aust hinterlässt trotz eines Aufgebots deutscher Schauspielstars den modrigen Geruch der Mumifikation, den schon Friedrich Nietzsche dem All-over des Historismus seiner Zeit ankreidete. Dass die Radikalität der Moderne nichts an dem Bedürfnis geändert hat, Geschichte(n) chronologisch und in gegenständlichen Bildern erzählen zu wollen, führte nicht zuletzt zu diesem Film, der mit dem Konzept der Authentizität beworben wird, aber nur eine unentschlossene Aufzählung sattsam bekannter Ereignisse enthält. Diese wird jedoch – immerhin handelt es sich um die Geschichte von zehn Jahren politisch motivierter Gewalt in der BRD – auf zweieinhalb Stunden ausgedehnt. Es tut richtig weh zu sehen, wie eigentlich eindrucksvoll sich das Ensemble abmüht: Martina Gedeck als Ulrike Meinhof, Moritz Bleibtreu als Andreas Baader, Bruno Ganz als Leiter des Bundeskriminalamts Horst Herold. Johanna Wokalek ist als Gudrun Ensslin kaum zu erkennen. Schon zu Anfang wird es mulmig bei der Art und Weise, wie Eichinger/Edel an das Thema herangehen: Da sehen wir eine Nachstellung jener Demonstration vom 2. Juni 1967 gegen den Besuch des Schahs von Persien in Berlin, bei deren gewaltsamer Auflösung der Student Benno Ohnesorg erschossen wurde. Einerseits wird der Anspruch von Athentizität erhoben - gedreht wurde, wo immer möglich, an Originalschauplätzen, die Dialoge sind über weite Strecken überliefertem Material entnommen, selbst die Anzahl der Schüsse wurde abgezählt –, doch schon in dieser ersten Gewaltszene wird klar: Hier soll ein Massenpublikum mit Action bei der Stange gehalten werden. Das sind also die zwei Hauptanklagepunkte gegen Bernd Eichingers/Uli Edels „Der Baader Meinhof Komplex“: Dass hier behauptet wird, die Wahrheit über die RAF zu zeigen und man damit zugleich viel Geld verdienen will. Denn selbst die naheste Annäherung an die Wahrheit des Ablaufes der Ereignisse wird immer nur deren Rekonstruktion sein, nie die Wahrheit selbst. Aus der Gewalt, dem inzwischen in die Popkultur eingegangenen Siebziger Jahre-Terroristen-Schick und dem – wie an den Reaktionen auf Hans-Peter Feldmanns 90teiligen Fotozyklus „Die Toten“ noch anlässlich der RAF-Ausstellung 2005 ersichtlich - noch immer unaufgearbeiteten Trauma Profit schlagen zu wollen, macht dieses leblose Unternehmen richtig gehend obszön. Dass es auch ganz anders geht, war während der diesjährigen Berlinale zu sehen. Die Spieldokumentation „United Red Army” von Wakamatsu Kôji über das zeitgleiche japanische Gegenstück zur RAF hat all das, was „Der Baader Meinhof Komplex“ vermissen lässt: Radikalität, Engagement und ein hohes Erkenntnispotential, das über die bloßen Ereignisse weit hinaus weist. Wakamatsu begreift Geschichte als eine Verkettung von historisch-gesellschaftlichen Faktoren mit dem banal Menschlichen und gelangt so zu Aussagen von allgemeiner Gültigkeit. Davon kann man bei der kommentarlosen Aufzählung in „Der Baader Meinhof Komplex“ nicht einmal träumen. Ab 26. September im Kino.
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: