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Umwege zum Politischen

Kultur hat ihre Harmlosigkeit schon lange verloren. Denn in ihr werden soziale und politische Identitäten formiert. Kultur besteht auch nicht bloß aus Werken, Werten und Normen einer Gesellschaft, sondern zudem aus alltäglichen Praktiken. Und diese können deshalb eminent politisch sein. Dies sind im Groben die Basiseinsichten der Cultural Studies. Nachdem die Cultural Studies mit ein bis zwei Dekaden Verspätung auch deutschsprachige Universitäten erreicht und desgleichen im Kunstfeld längst ihre diskursiven Marker etabliert haben, kann man sich die Frage stellen: Bedarf es noch einer Einführung in diesen Theorie- und Forschungszweig? Oliver Marchart hat eine solche geschrieben. Er zeichnet dabei ihre Entstehungsgeschichte aus der proletarischen Erwachsenenbildung und dem Geist der Neuen Linken nach, nennt ihre drei Gründungsgestalten – Richard Hoggart, Raymond Williams, Edward P. Thompson – und beschreibt ihre Institutionalisierungen. In den Cultural Studies beschäftigte man sich mit Sub- und Gegenkulturen und stellte medientheoretische Überlegungen an. Entlang der „drei paradigmatischen Achsen“ von ‚race’, class und gender diskutiert Marchart den Zusammenhang von Identität, Kultur und Macht. Das ist bereits eine Schwerpunktsetzung, die die allgemeine Bestimmung von Kultur als „Medium des Konflikts“ umsetzt. Denn unter dem Label Cultural Studies sind auch schon ganz andere – sozialtheoretisch unbedeutendere – Dinge zusammengefasst worden. Indem er den Wechselwirkungen zwischen den drei Achsen den Namen „Hegemonie“ gibt, bindet er die ganze Erzählung durch seine eigene Perspektive zusammen: Die hegemonietheoretische Diskursanalyse ist laut Marchart auch die Schnittstelle zwischen Cultural Studies und Politikwissenschaften. Die Betonung, dass in den Cultural Studies nicht bloß Kunstkonsum, Zeitungslektüre und Musikpräferenzen, sondern gesellschaftliche Kämpfe verhandelt werden, ist so gesehen selbst schon ein Einsatz in diesen Kämpfen. Insofern ist auch die Frage eindeutig zu beantworten, ob dieses weitere Überblickswerk gebraucht wurde: Ja. Denn Marcharts Buch steht diesbezüglich ganz im Zeichen Stuart Halls. Der bedeutende Cultural Studies-Theoretiker hatte einmal geschrieben: „Theorie ist immer der Umweg auf dem Weg zu etwas wichtigerem“.
Mehr Texte von Jens Kastner

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