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Gottfried Bechtold - Unser Mann: Jeder kann ein Politiker sein

Der Karlsplatz ist eine der meistfrequentierten Stellen Wiens. Was immer sich dort befindet, wird auch gesehen: von zigtausend Autofahrern, Radlern, Passanten und Gästen des öffentlichen Verkehrs. Diesen Umstand hat sich schon seinerzeit das museum in progress für Kunstprojekte auf riesigen Billboards zunutze gemacht.

Seit kurzem steht dort – ebenfalls temporär - eine Wand mit einem Plakat der spezielleren Art, das den flüchtigen Passantenblick zunächst gut und gerne von seinem vorgeblichen Zweck, eine Wahlwerbung zu sein, zu überzeugen vermag. Es hat alles, was es dazu braucht: Das Porträtfoto neben dem Schriftzug „Unser Mann“ zeigt einen seriös gewandeten Menschen bei dem Versuch, ein gewinnendes und Vertrauen heischendes Lächeln auf sein medial noch unverbrauchtes Gesicht zu zaubern. Den Kopf leicht schräg gelegt, scheint er selbst nicht ganz überzeugt zu sein, dass ihm das auch gelingen wird. Das beste ist aber der Hinweis auf die wahlwerbende Partei: Der wechselt nämlich jede Woche zweimal.

Man kann Gottfried Bechtold für sein mimisches Talent nicht genug loben. Der Vorarlberger Künstler hat den Streich nämlich nicht nur ausgeheckt, sondern ihm auch sein eigenes Gesicht verliehen. Und das gelang ihm kongenial. In Österreich – und vermutlich speziell in Wien – kennt man das Phänomen bestens, das Bechtold auf Korn und Kimme nimmt. Es grassiert hier, seit die – ehemals – stimmenreichsten Parteien von der rechtslastigen Opposition eingeholt wurden: Kaum ist Wahlkampf, sind die Plakatwände nicht nur mit bekannten, sondern immer häufiger mit "marktfrischen" Gesichter gepflastert.

Für diese Quereinsteiger in die öffentliche Meinung, darunter dieses Mal als Speerspitze des Phänomens auch der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten, gibt es inzwischen eine faszinierend primitive Ikonografie: Lächeln, nicht zu intelligent wirken, bodenständig aussehen. Die Austauschbarkeit, die Bechtold seinem Plakat mit den wechselnden Logos einschreibt, drückt sich vielleicht noch viel nachdrücklicher durch die habituale Imitation dieser Universalformel für einen „postideologischen“ Politiker aus: Es geht nicht mehr um Programme, Konzepte und Kompetenzen, nur noch darum, ein konsensfähiges Schema zu erfüllen.

Bechtold entlarvt die primitiven Prämissen, auf deren Grundlage die künftigen Leader dieses Landes zur Auswahl ins Regal gestellt sind: die Hautfarbe ist Weiß, das Geschlecht tendenziell immer noch männlich, die Einstellung möglichst konservativ. Der Rest entspricht dem Durchschnitt. Unser Mann ist einer von uns, einer wie alle.

Wussten wir schon durch Joseph Beuys, dass jeder ein Künstler sein kann, so erinnert uns Gottfried Bechtold daran: Jeder kann ein Politiker sein. „Unser Mann“ reflektiert nichts weniger als den neuerdings wieder aufsteigenden Urschlamm unserer gesellschaftlichen Werte. Und das führt unweigerlich zu dem Schluss: Wir haben ihn wohl auch verdient. Also warum eigentlich nicht? - Gottfried Bechtold for President!

Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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Gottfried Bechtold - Unser Mann
26.08 - 12.10.2008

Kunsthalle Wien public space Karlsplatz
1040 Wien, Rosa Mayreder Park
http://kunsthallewien.at


Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
'tschuldigung ...
Walter Stach | 09.09.2008 12:38 | antworten
... aber das erinnert an tiefe Siebzigerjahre (voriges Jahrhundert). Claus Staeck war schon da. Aber besser.

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