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Van Gogh: Genie, aufgedröselt

Kaum jemand kann sich heute noch vorstellen, worüber die Kunstkritikerin Berta Zuckerkandl sich am 1. Februar 1900 beschwerte: „Die Albertina birgt jetzt ein süßes Geheimniß. Sie hat eine Dürer-Ausstellung. Ganz heimlich flüstert dies ein Eingeweihter dem anderen zu, ganz zufällig nur erfahren es Kunstsinnige der weiteren Kreise. Nirgends stand es zu lesen; wozu auch einer so internen Angelegenheit, wie einer Ausstellung Dürer’scher Handzeichnungen, Publicität geben! Es genügt, wenn der Director, die Custoden und einige Kunsthistoriker davon Kenntniß haben.“ Wie haben die Zeiten sich geändert! Diesmal geht es nicht um Dürer – der war in der Albertina schon 2003 wieder dran –, sondern um Vincent van Gogh. Und: Man kann in dieser Ausstellung noch etwas lernen. Das Thema ist die Wechselwirkung zwischen Zeichnung und Malerei im Van Gogh’schen Œuvre, oder – laut Wandtext – „das Prinzip Zeichnung als Grundton des gesamten Schaffens“. Van Gogh, der Holländer mit der Malerfaust, begann 1880 mit 27 Jahren seine autodidaktische Laufbahn mit dem Zeichnen. Die ersten drei seiner nur etwa zehn Jahre als Künstler zeichnete er hauptsächlich, beeinflusst durch englische und französische Kunsttheorie zur Graphik, und schuf schon damals im Medium der Zeichnung eine ganze Reihe von eigenständigen Werken, die sich auf wichtigen Plätzen in seinem Gesamtwerk behaupten können. 1886 übersiedelte Van Gogh zu seinem Bruder Theo nach Paris, wo er feststellen musste, dass die dunklen Farben seiner Gemälde neben dem Impressionismus unzeitgemäß wirkten. Die Palette wurde also heller und der Strich impressionistisch. Ab 1888 in Arles und später in Saint-Rémy und Auvers-sur-Oise wurden dann die Gemälde so etwas wie das „Übungsmaterial“ für die Zeichnungen, deren groben, unbunten Duktus er in farbige Gemälde übersetzte – und retour: Van Gogh schuf Gemälde nach Zeichnungen und zeichnete diese Gemälde wiederum nach, ein Vorgang, bei dem er sehr genau auf die Übersetzbarkeit von Tonwerten in Farben und von Farbflächen in graphische Elemente (und jeweils vice versa) achtete. Der Effekt ist interessant: Hier haben wir die von expressiven farbigen Linien beherrschte Malerei der letzten zweieinhalb Lebensjahre und daneben die dazu gehörenden Grafiken und Zeichnungen, die das Genialische des Van Gogh’schen Künstlerbildes quasi aufdröseln, indem sie zeigen, wie viel Arbeit und Nachdenken hinter den neuartigen künstlerischen Lösungen steckt. Genau das hebt aber auch die Zeichnungen in ihrem Verhältnis zur Malerei auf eine gleichwertige Position – ein Ergebnis, das in einem Grafik-Museum allerdings nicht wirklich überrascht.
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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Van Gogh
05.09 - 08.12.2008

Albertina
1010 Wien, Albertinaplatz 1
Tel: +43 1 534 83 -0, Fax: +43 1 533 76 97
Email: info@albertina.at
http://www.albertina.at
Öffnungszeiten: Tägl. 10-18h, Mi 10-21 h


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