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Manifesta 7: The Rest of Now: Sichtfenster aus der Gegenwart

Die über den Ausstellungsteil in Bozen gesetzte Headline der Manifesta7 „The Rest of Now“ bezieht ihre inhaltliche Spannung aus der Mehrfachbedeutung des Worts „rest“ im Englischen. Es meint sowohl die zeitliche Verlangsamung im Sinne von Pause oder Innehalten wie auch das Überbleibsel oder eben den Rest. Welche Nahaufnahmen und Reflexionen ergeben sich im Zustand des Stillstands in der ehemaligen Aluminium Fabrik „Alumix“ im tiefsten Bozener Industriegebiet? Hier erhebt sich der erhaltene Eingangsbereich des Alumix- Gebäudes als Ikone der italienischen Moderne über die hin gewürfelten Lager- und Produktionshallen an der Peripherie. In den 1940er Jahren wurde in den mittlerweile abgerissenen Produktionshallen ein Drittel des italienischen Aluminiums hergestellt. Der vom Futuristen Filippo Tomaso Marinetti gefeierte Grundstoff des Aufbruchs diente als Material für Flugzeuge, Bomben und Espressomaschinen. Die vom indischen Raqs Media Collective kuratierte Ausstellung blickt zumindest in Teilaspekten auf die Überreste des 20. Jahrhunderts als Zeitalter des Zivilisationsbruchs und der Technisierung zurück um etwaige Zukunftsperspektiven zu finden. Die Parameter Ort und Zeit sowie das omnipräsente Thema der Kommunikation greifen die KünstlerInnen Graham Harwood, Richard Wright und Matsuko Yokokoji in einer archaisch wirkenden Sound-Arbeit auf der Basis elektromechanischer Telefon-Schaltelemente auf. Durch die Einbeziehung eines kongolesischen Radioprogramms in London wird Themen der kulturellen Migration nachgespürt. Ähnlich komplex wirkt der in der Nähe ausgebreitete Versuch des britischen Architekten aus kartografischen Schnipseln die Vision eines „Europolis“ zu visualisieren. Die Möglichkeit, auf die enormen Dimensionen der Alumix-Halle zu reagieren, demonstriert Jorge Otero-Pailos, der mit einem Architektenteam Staubrückstände aus der Halle in gegossenen Latexfolien konservierte, welche er emblematisch auf ein Meter hohes Gerüst montierte. Videoprojektionen von Zilvinas Kempinas imitieren den Einfall von Oberlicht als Zitat eines konstituierenden Elements von Industriehallen. Parallel dazu: Intime Schausituationen auf der Basis vollkommen unterschiedlicher Visualisierungsformen. Ein gestalterisch fast ausufernd barock anmutender Animationsfilm von Emre Hüner greift in unterschiedlichen Schichten Technifizierung der menschlichen Existenz und Dritte Natur auf. So ergibt sich ein Panoptikum gesellschaftlicher Realitäten, das da beklemmend wird, wo etwa die mexikanische Künstlerin und Gerichtsmedizinerin Wasser aus einer Autopsiestation zur Befeuchtung eines Gebäudeteils einsetzt. Das nicht zuletzt auch im sozialen Zusammenhang Roms eminent wichtige Thema Arbeitsmigration greift Alexander Vaindorf in einer mehrteiligen Videoinstallation mit Interviews mit ukrainischen Frauen im „Parco della Resistenza“ auf. Dass in unmittelbarer Nähe eine intimer Kino- und Vortragssaal als Labor zur Debatte solcher Fragestellungen im Kontext Gegenwartskunst eingerichtet wurde erscheint geradezu logisch. Im Gesamtzusammenhang dieser Auswahl markanter künstlerischer Positionen der Gegenwart werden somit in unterschiedlichen Medien und Konzepten gesellschaftlich brisante Fragen aufgegriffen, wobei Fallen der Eindimensionalität des Dokumentarischen plakativ Politisches geschickt umschifft werden. Diskursive Verdichtungen in einem räumlich extensiven Präsentationszusammenhang. Allerdings bleibt „The Rest of Now“ im Rahmen der Manifest7 da unentschieden und vage, wo sowohl Fragen der Globalisierung wie auch lokale Bearbeitungen im Gesamtkonzept lediglich in Andeutungen münden.
Mehr Texte von Roland Schöny

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Manifesta 7: The Rest of Now
19.07 - 02.11.2008

Manifesta 7: Bozen
39100 Bozen, Ex Alumix, Voltastraße 11
http://www.manifesta7.it


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