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Manifesta 7: The Soul: Im Labyrinth des Seelischen

In Trento führt die von Anselm Franke und Hila Peleg konzipierte Ausstellung in ein Labyrinth von Bedeutungen. In den abgegriffenen, teils verwinkelten Räumen des alten Postgebäudes stellt sich die Frage, ob der komplexe Aufbau letztlich nicht in einen unüberblickbaren Irrgarten von Signifikanten führt. Das etwas holprige Motto „Die Seele – oder: viel Ärger beim Transport von Seelen“ bezieht sich auf eine Zeichnung Sergej Eisensteins nach dem Zweiten Weltkrieg als der Zivilisationsbruch durch den Holocaust bereits bekannt war und die Moskauer Schauprozesse begonnen hatten. Während Eisenstein eine auf den Kopf gestellte Welt aufs Korn nahm, geht der historische Längsschnitt des Kuratorenteams noch weiter zurück. Dem Ort gemäß beziehen sich Franke und Peleg auf das folgenschwere Konzil von Trient im 16. Jahrhundert, das die Handhabung der Sakramente in der katholischen Welt gefestigt hat. Es wurde die Beichte auf die Welt der Vorstellungen und Gedanken ausgeweitet. Der Imperativ zur Offenlegung latenter Taten und Gefühle setzte einen Meilenstein in der Verinnerlichung von Macht, was wiederum zu den Analysen der Genese subjektiver Normen im Rahmen des Politischen durch Michel Foucaults führt. Daraus ergibt sich eine Leserichtung entlang der Begriffe, Seele, Mentalität, Erziehung, Entfremdung und Disziplinierung in der Ausstellung. Beispielsweise führen dort Marie Theresa Alvez, Jimmi Durham und Michael Taussig eine Auseinandersetzung mit Identitätszuschreibungen gegenüber MigrantInnen im etwas oberflächlich durchgearbeiteten quasi-dokumentarischen „Museum der europäischen Normalität“. Der Berliner Künstler Klaus Weber kehrt die Richtung der Evolution symbolisch um. In einer als Museumsraum gestalteten Raumsituation betrachtet ein sitzender Affe den Schädel eines Menschen, womit ein beliebtes Motiv des 19. Jahrhunderts aufgegriffen wird. Noch weitere Räume sind als kleine Museen konzipiert. Stefano Graziano widmet dem italienischen Antipsychiater Franco Basaglia eine kleine Ausstellung, Sina Najafis und Christopher Turners Arbeiten beziehen sich auf die Rohrschach`schen Persönlichkeitstests, während Brigid Doherty Erziehungs- und Lernmethoden des 19. Jahrhunderts an Hand visueller Vorlagen in Vitrinen aufarbeitet. Dokumentarische Momente dominieren aber keineswegs. Vielmehr entsteht die Spannung durch eine Abfolge unterschiedlicher visueller Strategien. Herausragend: die Bearbeitung des Ödipus-Themas in einem mit Masken gespielten Cowboy-Film des in New York lebenden Spaniers Javier Tellez. Durch seine Sensibilität wiederum ergreifend: Ein Kurzfilm der in London lebenden Künstlerin Daria Martin. Er zeigt Lernschritte kleiner Roboter in der Kommunikation mit den nackten Körpern eines Mannes und einer Frau. Der in London lehrende israelische Architekt und Künstler Eyal Weizmann befrägt in einer Dia-Installation die Argumentation für das geringere Übel als pragmatischen Kompromiss zur Rechtfertigung des eigenen Handelns. Sein Bildmaterial bezieht sich auf eine humanitäre Kampgane für Äthiopien sowie die Kampagne gegen den Mauerbau in Israel. Doch erst im Dialog mit einer Bild-Text-Installation des Kulturtheoretikers Tom Holert gemeinsam mit der Journalistin Claudia Honecker zu Beziehungen zwischen Politik, Psychologie und Architektur der Moderne, des Faschismus und des späteren Funktionalismus eröffnet sich der Blick wieder in die unmittelbare soziale Realität. Immerhin wurde der Palazzo delle Poste als Ort der Ausstellung über die Seele 1929 von Angiolo Mazzoni errichtetet, der im faschistischen Regime Italiens Chefarchitekt des Ministeriums für Telekommunikation und Staatliche Eisenbahnen war. Bekanntlich prägte Mazzionis Stil die italienische Bahnhofsarchitektur sowie eine Vielzahl anderer öffentlicher Gebäude. Eine kleine Architekturausstellung verweist auf die Geschichte des Postgebäudes als ehemaliges futuristisches Kunstwerk, das zu einer architektonischen und ideologischen Ruine der Moderne wurde. Von hier aus wird evident, dass der für diesen Teil der Manifesta7 sozialhistorisch und psychologische fundierte Begriff der Seele, tendenziell doch in innere Kartografien führt, während gesellschaftliche Momente lediglich punktuell auftauchen. Zum einen wird versucht, durchaus vielschichtige Werke mit unterschiedlichen Hintergründen um identitätspolitische Fragestellungen zentrieren. Zum anderen scheint die Vielzahl der inhaltlichen und ästhetischen Verzweigungen das zentrale Begriffsgerüst sukzessive zu unterlaufen.
Mehr Texte von Roland Schöny

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Manifesta 7: The Soul
19.07 - 02.11.2008

Manifesta 7: Trento
380100 Trento, Palazzo delle Poste, Via S.S. Trinità 27
http://www.manifesta7.it


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