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Duchamp, Man Ray, Picabia: Tertium comparationis

Die Sorgen möchte man einmal haben: Da wartet die Londoner Tate nicht nur mit dem – neben Picasso – wahrscheinlich paradigmatischen Künstler des 20. Jahrhunderts auf, was für sich eigentlich schon reichen würde, nein, sie flankiert ihn auch noch mit zwei ebenfalls nicht ganz unwichtigen und vor allem auch ungewitzten Vertretern der Avantgarde, setzt jeden einzelnen in Szene, setzt sie zueinander in Beziehung und lässt so wie nebenher ein halbes Jahrhundert Kunstgeschichte abrollen, und was tut die britische Presse – jedenfalls Teile davon? Sie jammert. Sie klagt. Dass die Blockbuster-Ausstellungen überhandnehmen. Und dass, wenn schon Blockbuster, die Franzosen – ausgerechnet – wesentlich geschickter ans große Schau-Werk gingen. Man mag das angesichts dieser Ausstellung dann freilich nur als Jammern auf allerhöchstem Niveau abtun. Tu felix Britannia. Gut, man könnte vielleicht wirklich einwenden, dass man aufgrund der schieren Überfülle der Exponate manchmal den Überblick zu verlieren droht und somit das gezielte Sehen zugunsten des Schauens aufgibt, und dass die gewiss etwas trocken-museale Präsentation der einstmalig subversiven, schockierenden Qualität der Objekte nicht gerecht wird, ja gerecht werden kann. (Aber wie sollte man dem wirkungsvoll begegnen, wo es doch die Bestimmung des Museums ist, nur tote Dinge zu konservieren?) Allein, jede Einrede verstummt schließlich, wenn man dann vor solchen Ikonen steht wie Duchamps „Akt, eine Treppe herabsteigend“ (1912) oder seinem „Großen Glas“ (1915–23) oder – erstmals in Europa – seinem Vermächtnis „Gegeben sei“ (1946–66), auch wenn letzteres hier leider nur in einer virtuellen Form gegeben ist, weil das Original ja bekanntlich fix in Philadelphia installiert wurde. Eine solche eher zufällige Aufzählung vermag aber ferner zu verdeutlichen, dass diese Ausstellung – und man kann sich dem kaum entziehen – auch zu einem Vergleich der drei Heroen herausfordert und im Zuge dessen unzweifelhaft ans Licht bringt, wer der größte Star unter ihnen ist – nämlich, nicht ganz überraschend, Duchamp. Duchamp, um den die beiden anderen nicht nur im Zusammenhang ihrer Freundschaft wie Satelliten kreisen, sondern der auch künstlerisch eindeutig das Gravitationszentrum bildet. Denn Duchamp war nicht nur der erste, der in ihren malerischen Anfängen mit seinem „Akt“ zu einer eigenen Stimme fand, indem er den reinen Kubismus überwand; sondern er hatte auch mit seiner perfid-voyeuristischen Installation „Etant donneés“, mit der eigentlich niemand mehr gerechnet hatte, weil alle dachten, er würde weiterhin nur Schachspielen, auch das beste Ende für sich. Und dazwischen trieb er noch mit seinem „Glas“ die rezente Maschinenästhetik in ungeahnte erotische – und nachfolgende interpretatorische – Höhen, erfand natürlich das Readymade („Fountain“, 1917, ist selbstverständlich auch da, obgleich wie alle Readymades nur als Replik), und befeuerte mit seinem Alter Ego Rrose Sélavy den Gender-Twist eindeutig am nachhaltigsten. Gegen diese – grob skizzierte – künstlerische Lebensbilanz nehmen sich Man Rays Fotogramme – für die sein Name wahrscheinlich vor allem steht – und Francis Picabias schamloses Wildern in fremden Stilen und Vorlagen – das ihn aber immerhin zu einem Postmodernen avant la lettre macht – dann doch eher bescheiden aus. Relativ gesehen, natürlich.
Mehr Texte von Peter Kunitzky

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Duchamp, Man Ray, Picabia
21.02 - 25.05.2008

Tate Modern
SE1 9TG London, Bankside
Tel: +44 20 7887 8000
http://www.tate.org.uk/modern/default.htm
Öffnungszeiten: Sunday to Thursday, 10.00-18.00 (galleries open at 10.15); Friday and Saturday, 10.00-22.00 (galleries open at 10.15); Last admission into exhibitions 17.15 (Fri and Sat 21.15);Closed 24, 25, 26 Decem


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