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ExpertInnen

Zu den Segnungen, die ein sozialdemokratischer Bundeskanzler den Deutschen hinterlassen hat, gehören mehr oder weniger verpflichtende Tätigkeiten, für die man einen Euro in der Stunde erhält. Diejenigen, denen man eine solche Tätigkeit aufbürdet, dürfen fortan beispielsweise in Parks Hundstrümmerl auflesen. Man nennt diese armen Menschen grob vereinfachend „Hartz-IV-Empfänger“. Jetzt gibt es auch in Österreich Ein-Euro-Jobs. Immerhin erfordern sie nur ein halbstündiges Engagement, sind also doppelt so gut bezahlt wie beim großen Nachbarn. Die armen Menschen, die sich ihnen aussetzen, nennt man dafür auch bei einem besseren, wenn auch noch gröber vereinfachenden Namen. Man nennt sie „ExpertInnen“. Die Wiener Festwochen sind auf die gloriose Idee gekommen und wollen sie am nächsten Samstag, den 17. Mai, auch umsetzen, den einfachen Ratsuchenden mit einer Person zusammenzubringen, die die Kompetenz verspricht, diesen Rat zu erteilen. Wie bei den Sprechzeiten im Gefängnis, so zumindest stellt das Plakat zur Veranstaltung es sich vor, sitzen eine Expertenfigur und ein Normalsterblicher einander gegenüber, 30 Minuten lang, einen Euro kostbar, und führen eine Einwegkommunikation von Bedürfnisstiller zu Bedürfnisträger. „Schwarzmarkt“ soll das Etablissement betitelt werden. „Schwatzmarkt“ wäre angemesssener. Natürlich muss das viele Geld, das Kulturfestivals mit sich bringen, irgendwie verbraucht werden, und ein völliger Blödsinn ist zumindest authentischer als eine skrupulöse Inszenierung ins Nirwana hinein. Doch warum lassen es sich die Teilnehmenden gefallen, bei dieser seltsamen Psycho-Wellness-Tour auf einen Begriff gebracht zu werden, der bis dato etwas mit Seriosität zu tun hatte? Es gibt diverse Dampfplauderer in der Runde, die sicher froh sind, sich einmal zu Expertentum aufwerfen zu dürfen. Aber es gibt auch mit allen Wassern der Reputation gewaschene Wissenschaftler – wir nennen keine Namen. Ist das Prinzip Expertenschaft völlig auf den Hund gekommen? Ich hatte einmal eine Einladung zu einer kruden Ausstellungsidee, die ich fast angenommen hätte. Die Idee lautete „Art Critic’s Art“, und ich sollte zusammen mit den Kollegen von der Kritik meine Kunstproduktion vorstellen. Ich habe aber keine Kunstproduktion, ich bin auch kein gescheiterter Künstler, sondern, wenn schon, ein gescheiterter Literat, doch ich wollte mir schier schon Gedanken machen über ein etwaiges Werk. Einfach deswegen, weil es die Einladung gab. Einfach, um mitzumachen. Ich bin aber noch zur Besinnung gekommen. Liebe Expertinnen und Experten, die ihr noch welche seid: Bitte kommt auch zur Besinnung!
Mehr Texte von Rainer Metzger

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