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Regie: Rappaport. Ein sowjetischer Filmemacher aus Wien

Die Distanz des Exilanten Schon Rappaports Biographie ist ungemein bewegt. 1908 in einer sehr angesehenen jüdischen Familie in Wien geboren, ging der Schulfreund von Fred Zinnemann mit Zwanzig nach Berlin, wo er bald Zugang zur Nero-Film und zu Georg Wilhelm Pabst fand, dessen Regieassistent er 1930 wurde. 1932 folgte Rappaport Pabst nach Frankreich und 1934 in die USA. Ausgerechnet dort ließ der deklarierte "Russenfilm"-Fan sich von einem sowjetischen Filmfunktionär für Lenfilm anwerben. Ein Angebot der indischen Filmindustrie hatte er abgelehnt. Rappaport ging also – diesmal ohne Pabst – 1936 nach Leningrad. Einerseits wurde er dort als „sowjetischer Pabst“ für Anti-Nazifilme vorgesehen (Professor Mamlok, 1938), andererseits war er aber als Jude tendenziell auch in der Sowjetunion in Gefahr. Es gelang Rappaport antisemitischen Nachstellungen zu entgehen: In fast gespenstischer Übertreibung nationalistischer Stereotype wurde er wegen seiner Genauigkeit und – verwunderlich, wenn man seinen Brief an Zinnemann in der Broschüre kennt – seiner Humorlosigkeit von allen als „Deutscher“ betrachtet und nicht als Jude. 1941, nach dem Überfall der Wehrmacht auf Russland, als alle Deutschen das Land binnen 24 Stunden verlassen mussten, wurde Rappaport innerhalb derselben Zeit sowjetischer Staatsbürger. 1983 starb er eines gewaltsamen Todes, dessen Umstände noch immer ungeklärt sind. Zurück bleibt ein Œuvre, das, wie die beiden KuratorInnen der Schau, Barbara Wurm und Olaf Möller, schreiben, „nicht nur wiederzuentdecken, sondern überhaupt erst zu entdecken“ ist. Rappaport war ein Genre-Regisseur, der in der Sowjetunion Maßstäbe setzte. Zum einen war das im Musikfilm. In der Retrospektive werden die „innovative Musikkriegskomödie“ Der Luftkutscher (1943), der Tenorfilm Eine musikalische Geschichte (1940) und das an westliche Vorbilder angelehnte Tauwetter-Musical Ceremuški (1963) mit Musik von Schostakovich gezeigt. Doch eigentlich lagen ihm mehr die ernsten Themen, wie man selbst im Luftkutscher ohne Mühe mitbekommt: Dort gibt es eine sehr intensive Szene, in der sich die Opernarie aus dem Radio über die Gesichter der in einer waghalsigen Aktion geretteten Soldaten im Flugzeug des „Luftkutschers“ legt, die wissen, dass diesem Radiosignal zu folgen sie nach Hause bringen wird. In der verordnet verbrechensfreien Sowjetunion waren auch Krimis ein neues Genre. Rappaport drehte vier davon, sein erster, Zwei Tickets für die Nachmittagsvorstellung (1966), Rappaports schwarzweiße Antwort auf die europäische Nouvelle Vague (mit einer sowjetischen Doppelgängerin von Anna Karina in einer Nebenrolle), führt den Rappaport’schen Ansatz eines Spannungskinos weiter, der bereits mit dem (bis vor kurzem) nie zur öffentlichen Aufführung gelangten Spionagethriller Der Gast (1939) hätte wirksam werden können. Leider kam es aus politischen Gründen nicht dazu. Dieser von Georgij Filatov in satten, samtig glitzernden Valeurs fotografierte Actionfilm mit Schlittenhunden und einer Verfolgungsjagd im Schnee macht neben der Geschichte um einen japanischen Spion auch das – damals noch vorhandene - politische Ziel deutlich, die Lebensweise einer ethnischen Gruppe gleichwertig neben die Fortschritts- und Technikbegeisterung der sowjetischen Moderne zu stellen. Dergleichen politische Ziele waren es, die auch Rappaport mit seinen Filmen zu transportieren hatte, was sein Werk bei allem formalen Zusammenhalt immer ein wenig in einen propagandistischen und einen persönlichen Teil zerfallen lässt. Der persönliche Teil ist voll des Stilwillens, Humanismus' und selbst Dissidenz. Die sieben Programme - jedes einzelne davon ist bestückt mit Juwelen - der zuerst auf der Diagonale 2008 gezeigten Retrospektive lassen bei aller thematischen und stilistischen Breite der Auswahl einen sehr schönen künstlerischen Entwurf ahnen. Genug haben wir von Herbert Rappaport damit ganz sicher noch nicht gesehen. Bis 28. April im Österreichischen Filmmuseum www.filmmuseum.at
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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