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Whitney Biennial 2008: An den Randzonen des Existentialismus

Nach dem Vorbild ähnlicher Veranstaltungen in Europa erweiterte New Yorks Whitney Biennale ihr Spielfeld mit einem Special Event Programm in der frisch renovierten Armory Hall in der Park Avenue. Matt Mullican, DJ Olive, Seth Price oder Stephen Prina nutzen diesen monströsen Armee-Bau in neogotischem Stil als multiple Projektplattform. Den gewaltigen Dimensionen der 100 Meter langen Halle aus den 1880er Jahren entsprach Marina Rosenfelds Aufführung Teenage Lontano. 40 Jugendliche sangen György Ligetis Komposition Lontano, deren Original sie über ihre MP3 Player hörten, während Rosenfeld die Mikropolyphonie des Chores als Ausgangsmaterial für gleichzeitige Laptop-Improvisationen nahm. Die vorangegangene Eröffnung der Hauptausstellung an Manhattens Upper East Side verlief erwartungsgemäß glamourös. Im überfüllten Museumsquader an der Madison Avenue sah man etwa John Baldessari Autogramme kritzeln, während Udo Kittelmann ein ruhiges Plätzchen am Buffet errungen hatte, um sein Dinner nach zu holen. Sonst war Coolness angesagt. Drei D-Janes steuerten das Traumschiff über den Zeitraster zurück in die späten 1970er Jahre: "London calling to the faraway towns, Now that war is declared-and battle come down, London calling to the underworld ...". Im Clinch mit der Gegenwart Eigentümlicherweise vermochten ausgerechnet die Songs alter Popgrößen wie The Clash, Iggy Pop, Soft Cell oder The Talking Heads, den Zustand der Whitney auf den Punkt zu bringen: Stets nach vorne gerichtet und dennoch irgendwie anachronistisch. Vor mehr als 70 Jahren als Leistungsschau amerikanischer Gegenwartskunst ins Leben gerufen, kämpft diese Urmutter der Biennalen um ihre Gültigkeit. Stets möchte sie Zeitbarometer sein, selten aber können sich die jeweiligen KuratorInnen zu einem Motto durchringen. Pointierter formulierte Statements zur Lage bringen eher die zeitgenössischen Museen New Yorks. Etwa das Bronx Museum, das politisch ausgerichtete Kunst farbiger Frauen wie Tania Bruguera oder Ana Mendieta zeigt. Oder das New Museum of Contemporary Art, wo Werke junger KünstlerInnen um den Begriff Unmonumental zentriert wurden (Siehe die artmagazine Kritik vom 17.01.2008). Ein Leitmotiv kristallisierte sich für die Biennale Kuratorinnen Henriette Huldisch und Shamim M. Momin dennoch heraus: Lessness. Der Terminus bezieht sich keineswegs auf Life Style Devise, sich auf weniger mehr zu konzentrieren, sondern auf einen Text Samuel Becketts über den Stillstand. Doch gelte: "Weniger, sei nicht mehr, sondern weniger, sei bereits alles.", kommentiert der Kunstkritiker des New Yorker Peter Schjeldahl süffisant, wenn er konstatiert, dass zwei Dekaden akademischer Postmoderne offenbar zu betretenem Schweigen geführt und zahlreiche Werke den Charakter bemühter Kunstschularbeiten hätten. Ausladend ökologisch - politisch schweigsam Dieser Befund eines Elderman ist natürlich zu scharf, selbst wenn vieles tatsächlich zu dünn, zu verhalten bleibt. Wesentlich mehr erstaunt, wie unpolitisch die Biennale daher kommt. Momente einer kritischen Praxis machen die Kuratorinnen höchstens an einem hauptsächlich formal generierten Existentialismus fest. Und das immerhin in einem Krieg führenden Land, das wirtschaftlich auf eine Krise mit merkbaren Konsequenzen auf die soziale Situation insgesamt zuschlittert. Noch dazu in Vorwahlzeiten, die - verglichen mit dem sonst üblichen Klima in den USA - gewöhnlich als liberaler gelten. Eine der Ausnahmeerscheinungen ist daher William Cordovas (geb. 1971) The House that Frank Loyd Wright built for Fred Hampton and Mary Clark. In Form eines labyrinthischen Holzgerüsts visualisiert Cordova in Verbindung mit einem Video gemeinsam mit Leslie Hewitt (geb. 1977) wie die Polizei von Chicago 1969 die beiden im Titel erwähnten Black Panther AktivistInnen aufstöberte und ermordete. Solche Statements bleiben jedoch Ausnahme. Aus den insgesamt 81 Positionen lassen sich vor allem zwei Hauptströmungen kondensieren. Bearbeitungen ökologischer Themen einerseits und andererseits ein durchwegs spannend geführter Diskurs um die prekäre Lage der Skulptur. Paradigmatisch für den ersten Strang steht eine Installation der 1973 geborenen Phoebe Washburn, die ausladende Mini-Ökosysteme baut und zuletzt in der Deutschen Guggenheim in Berlin zu sehen war. In beiden Feldern angesiedelt ist dagegen die 1970 geborene Heather Rowe, die für ihre Installationen Rohmaterialien von Innenarchitektur wie Gitterholz-Sequenzen, Spiegel, Rahmenhölzer oder Abdeckplatten verwendet. Skulptur in Bedrängnis Inhaltlich und formalästhetisch interessant sind also subtile Annäherungen an Skulptur und Installation. Der 1958 geborene Charles Long zählt zwar längst zu den Klassikern dieses Bereichs, doch bringen seine aktuellen in weiß, schwarz und grau gehaltenen, fragilen Werke, die an Adaptionen von Giacometti-Gestalten aus Schwemmgut erinnern, den hier propagierten Zeitgeist auf den Punkt; ebenso die Werke des zwanzig Jahre jüngeren Ruben Ochoa, dessen Objekte aus Holz-Paletten, Beton und daraus herausragenden Stahlbetongittern bestehen. Wesentlich mehr Kontext bezogen, aber dennoch vergleichbar arbeitet die 1962 geborene Lisa Sigal, die - in Anspielung an Daniel Buren - sowohl ihre Installation wie auch das Stiegenhaus des Whitney mit einem Streifenmuster akzentuierte. In Melanie Schiffs Arbeiten dagegen spiegelt sich die Fokussierung des Trivialen auf der Ebene der Fotografie. Der 1973 geborene Jedediah Caesar treibt dies in Form zusammen gepresster Amalgame von Fundstücken auf die Spitze. Durchaus plausibel ist, dass auch die zunehmend gefeierte, 1966 geborene Rachel Harrison auf den Plan tritt. Ebenfalls höchst eindringlich eine Wandinstallation des 1969 geborenen Rodney McMillans aus Vinyl, die Gewalt und Bedrohung in schwarzem Vinyl thematisiert. Inszenierte Irrfahrten Warum dann aber zwischendurch John Baldessari oder Mary Heilman auftauchen und man wieder mal den längst etablierten - und durchaus faszinierenden - Kosmologien des Matt Mullican begegnet, erschließt sich nicht ganz. Noch rätselhafter wirkt der Versuch, die klassisch amerikanischen Malereien stiller, suburbaner Szenarien Robert Bechtles, dessen Stil sich seit den 1950er Jahren kaum verändert hat, in das Konzept zu integrieren. Hier scheint die Whitney Biennale das Heraufdämmern eines neuen Existentialismus erzwingen zu wollen. Bechtles gemalter Vorstadtblues findet nämlich seine Entsprechung in einer auf 16mm gedrehten Video-Arbeit von Amy Granat (geb. 1976) und Drew Heitzler (geb. 1972) mit dem esoterischen Titel T.S.O.Y.W, der auf Goethes Novelle Die Leiden des jungen Werther anspielt. Zwei parallel laufende Projektionen zeigen einen Biker der wie in einem linkisch gedrehten Easy Rider Remake durch den amerikanischen Südwesten rumpelt und nach Bedeutung sucht. Als die Endlosfahrt schließlich an Robert Smithons Land Art Werk Spiral Jetty in der Wüste von Utah vorbeiführt, scheint das ganze existentielle Dahindriften einen seiner Höhepunkte in Form dieses prominenten Sinnbilds für Form und Vergänglichkeit erreicht zu haben. Die Biennale BesucherInnen hingegen erhalten eine Vorahnung vom Irgendwo im Nirgendwo.
Mehr Texte von Roland Schöny

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Whitney Biennial 2008
06.03 - 01.06.2008

Whitney Museum of American Art
10001 New York, 945 Madison Avenue
http://www.whitney.org


Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Selbstdarstellung!
Anna Sarah | 18.03.2008 07:35 | antworten
Dieser Text handelt nur sehr peripher von der Whitney Biennale. Der Autor möchte einfach sagen: er ist für 'politische Kunst'. Super Zugang, nur schon seit ewigen Zeiten ein Thema - und gerade diese 'Disziplin' besteht hauptsächlich aus peinlichen Wichtigtuern... Ein bißchen geht der Text auch in dieselbe Richtung.

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