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Reise durch die Nacht des Unbewussten

Es sei ihm immer ein Anliegen gewesen, allen, die zuhören wollten, mitzuteilen, dass dies nicht die beste aller möglichen Welten sei, ließ der Filmemacher Zeitgenossen und Nachwelt wissen. Kaum wäre es nötig gewesen, das auszusprechen, denn mehr als deutlich hatte Buñuel diese Ansicht durch sein Werk vertreten. Schon die beiden ersten, vor dem Hintergrund der antibürgerlichen Provokationen durch Dada und Surrealismus und in Zusammenarbeit mit Salvador Dalí entstandenen Filme "Un Chien andalou" (1928) und "L`Âge d`Or" (1930) sind dahingehend als Manifeste zu verstehen. Die beiden Ikonen des surrealistischen Films bestehen aus traumartigen, scheinbar absurde Konstellationen formierenden Bilderfluten, die einerseits die schon lange beobachtete Analogie des Films mit den unbewussten, bildschaffenden Vorgängen des Traums direkt umsetzten - je ein Traumbild von Buñuel und Dalí waren der Grundstoff des Drehbuchs zu "Un chien andalou" -, andererseits dieses "Unbewusste" des Films als hochgradig subversive Macht auswiesen: Die Premiere von "L`Âge d`Or" endete in einer wilden Saalschlacht, kurz darauf wurde der Film verboten. Auch die Aufführung seines nächsten Films "Las Hurdes" (1932), eine zunächst realistisch anmutende, dann das Grauen des Surrealismus im Alltag evozierende Dokumentation über eine sehr arme Region Spaniens, wurde - von der Regierung der spanischen Republik - verhindert. Einmal Surrealist, immer Surrealist. Buñuels Spätwerk ist hinreichend bekannt: Die schillernde Masochismus-Studie "Belle de Jour" (1966), die beißenden Gesellschaftssatiren "El ángel exterminador" (1962), "Le Journal d’une femme de chambre" (1963) - der Beginn von Buñuels erfolgreicher Zusammenarbeit mit dem Drehbuchautor Jean-Claude Carrière -, "Le Charme discret de la bourgeoisie" (1972) und "La Fantôme de la Liberté" (1974), die Ausritte gegen die Dogmen der Religion in "Viridiana" (1961), "Simón del desierto" (1965) und "La Voie lactée" und natürlich das krönende Werk, der letzte Film "Cet obscure objet du désir" (1977), der die Beziehung zwischen einem alten Mann und einer jungen Frau thematisiert und so explosiv ist wie eh und je. Unsterbliche Szenen sind darin enthalten, in dem sich das einst revolutionäre Erbe des Surrealismus in eine fast milde, humorvolle Form der Entlarvung ganz alltäglicher Zynismen, Bosheiten, Bigotterien oder nur sinnentleerter Konventionen gewandelt zeigt. Man denke nur an die Szene aus "La Fantôme de la Liberté", in der eine Gesellschaft sich trifft um gemeinsam die Notdurft zu verrichten, während man sich zum Essen verschämt zurückzieht. Oder das Abendmahl der Bettler in "Viridiana". Noch zu entdecken ist das sehr divergente Werk von Buñuels Zeit in Mexiko (1946-1961). Da sind einerseits sehr konventionelle Filme wie "Gran Casino" (1947) oder "Las aventuras de Robinsón Crusoe" (1952), in denen der buñuelsche Geist wohl auch aufblitzt. Spannender sind aber Filme wie die neorealistische Studie über Straßenkinder in der Großstadt "Los Olvidados" (1950) oder die ganz im surrealistischen Sinn entlarvenden, ironischen Komödien wie "Subida al cielo" (1951), "La ilusión viaja en tranvía" (1953) oder "Ensayo di un crimen" (1955). Rund 20 seiner nur 32 Filme realisierte Luis Buñuel in Mexiko. Als missing links zwischen Revolution und Reifezeit nehmen sie Schlüsselpositionen ein. Nach der Berlinale zeigt nun auch das Österreichische Filmmuseum die Retrospektive mit den mexikanischen wie auch den übrigen Filmen Luis Buñuels. Bis 6. April www.filmmuseum.at
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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