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Max Ernst - Une Semaine de Bonté: Das perfekte Verbrechen

Zu ebener Erde: Max Ernst latschte diesen Februar als Räuberhauptmann in Luis Buñuels und Savador Dalís surrealistischem Skandalklassiker „L’âge d’or“ über die Leinwand. Im ersten Stock: werden noch bis 24. April zum ersten Mal seit über siebzig Jahren alle Originale des Collageromans „Une semaine de bonté“ gezeigt. Als hätten sie sich abgesprochen, warfen das Österreichische Filmmuseum und die Albertina Streiflichter auf einige parallele Aktivitäten des deutschen Surrealisten in Paris. Max Ernst selbst hielt die originalen Collagen für den in fünf Bänden gedruckten Roman lange unter Verschluss. Der Ernst-Spezialist und Katalogherausgeber Werner Spies betont das in seinem Text. Wie Spies hervorhebt, sei es Ernst darum gegangen, die Machart der Collagen zum Verschwinden zu bringen: „Vergleichbar dem perfekten Verbrechen sucht sich die Collage dem Auffinden von Indizien und dem Gedanken an Schere und Messer zu entziehen.“ In den gedruckten Bildern waren die Nahtstellen der aus Holzstichillustration des 19. Jahrhunderts ausgeschnittenen und zu neuen, absurden und unheimlichen Kombinationen zusammen geklebten Collagen nicht mehr zu sehen: Max Ernst hatte dem Clicheur die Anweisung gegeben, die Grate zu verwischen. Doch auch der Augenschein in der Albertina zeigt, wie gut es dem Bastler Max Ernst selbst gelungen ist, so zu kleben, dass man die Hinzufügungen kaum als solche erkennen kann: Ein Besucher der Pressekonferenz zeigte sich sogar begeistert von Ernsts Qualitäten als Zeichner. Als ehemaliges Mitglied von Dada Köln hatte Max Ernst die Collage schon Anfang der Zwanziger entdeckt. 1922 war er (zunächst illegal) nach Paris gekommen, wo 1929 sein erster Collage-Roman „La femme 100 têtes“ erschien. 1930 spielte er den Räuberhauptmann und brachte seinen zweiten Collageroman „Rêve d’une petite fille qui voulut entrer au Carmel“ heraus. Die 182 Collagen zu seinem dritten Roman „Une semaine de bonté“ plus zwei weitere, die darin nicht veröffentlicht wurden, klebte er im Sommer 1933 während eines Urlaubs in Italien im Sinne eines surrealistischen Automatismus bewusst schnell zusammen. Das Ausgangsmaterial, billig hergestellte Illustrationen zu trivialen Romanen aus dem 19. Jahrhundert, muss schon damals befremdlich altmodisch gewirkt haben und es kamen auch noch alle Arten von dramatischen Szenen darin vor: Morde, Geistererscheinungen, Duelle, Eifersuchtsszenen etc. Max Ernst griff in diese klischeehaften Bilder einerseits subtil ein, indem er ihre räumliche und proportionale Logik beibehielt. Andererseits setzte er mit seinen Eingriffen klar auf die Irritation, die ein Erhängter mit einem Hühnerkopf oder ein Postbote mit Drachenflügeln auslösen. Er spielte mit den bürgerlichen Kitschprodukten Feuilletonroman und dessen Bildproduktion und deutete sie im surrealistischen Sinn provozierend um: antibürgerlich, antiklerikal und bedrohlich. Einen „verzweifelten Aufruf zum Mord“ hatte Luis Buñuel seinen ersten Film „Un chien andalou“ (1928) genannt. Auch dazu verhält sich die raffiniert brachiale, düstere Bilderflut des Collageromans mit den verwischten Nahtstellen seines Räuberhauptmanns wie das "perfekte Verbrechen".
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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Max Ernst - Une Semaine de Bonté
20.01 - 27.04.2008

Albertina
1010 Wien, Albertinaplatz 1
Tel: +43 1 534 83 -0, Fax: +43 1 533 76 97
Email: info@albertina.at
http://www.albertina.at
Öffnungszeiten: Tägl. 10-18h, Mi 10-21 h


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