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Gülsün Karamustafa: Im Kaleidoskop der Identitäten

Schade, dass die Personale Gülsün Karamustafas im Salzburger Kunstverein nicht etwas opulenter, umfangreicher und somit auch vielschichtiger ausgefallen ist. Denn seit rund drei Jahrzehnten umkreist die aus Ankara stammende Künstlerin Aspekte von Identität, Migration und kulturellem Nomadismus der türkischen Gesellschaft in einer breiten kaleidoskopartigen Zusammenschau aus Momenten der Poesie und Gesellschaftskritik gleichzeitig. Zunächst zwischen unterschiedlichen Medien wechselnd und in den letzten Jahren hauptsächlich mit den narrativen Möglichkeiten des Videofilms arbeitend, blickt die 1946 geborene Künstlerin hinter die Oberflächen der Normative des türkischen Alltags. Während sie für ihre Videoarbeiten etwa ehemalige Gefängnisinsassinnen oder Gastarbeiterinnen aus Moldawien interviewte und in der Dokumentation "Memory of a Square" die Sozialgeschichte von Istanbuls schillernden Verkehrs- und Szeneknotenpunkt Taksim einfängt, wagt sie anderswo wiederum berührende Nahaufnahmen, wenn sie mit der Kamera etwa weinende türkische Geschäftsmänner porträtiert. Die Wendigkeit und die unterschiedlichen Aspekte in Gülsün Karamustafas Werk überraschen angesichts der tragischen Lebensumstände, in denen sie sich bis Mitte der 1980er Jahre befand. Auf Grund ihrer kritischen Haltung gegenüber der autoritären türkischen Politik war ihr sechzehn Jahre lang der Reisepass entzogen worden. Gülsün Karamustafa setzte sich auch mit naiver Malerei auseinander, konzipierte textile Installationen oder initiierte partizipatorische Projekte wie etwa ihre 100 Dollar-Flohmärkte. Die Vielfalt in Karamustafas Arbeit jedoch scheint sich vor der Folie des schillernden und kulturell höchst diversifizierten Lebens in der Ost-West-Megacity Istanbul geradezu aufzudrängen. Gerade in diesem Schnittfeld höchst unterschiedlicher und teils ausschließlicher Lebensstile fokussiert Karamustafa ironisch kommentierend die Position der türkischen Frau im Widerspruch zwischen kemalistischem Modernismus und traditionellen Zuschreibungen. Dass dabei auch Momente von Fashion und Kitsch aufgegriffen werden, drängt sich geradezu auf. Der Salzburger Kunstverein bringt eine dreiteilige Videoinstallation mit dem Titel „Tailor Made“, die während einer Amateurmodeschau in Istanbul produziert wurde. Im Großen Saal wird ein aktuelles Projekt, der zur Zeit im Rahmen der Salzburger Sommerakademie präsenten Künstlerin mit dem Titel „The City and the Secret Panther Fashion“ präsentiert; eine bunte Installation mit einem Video, Fotografien, Videostills und Umkleidekabinen, welche Einblick in die offenbar im Geheimen blühende Panther-Mode in Istanbul gewährt und zum Mitmachen animieren soll. Die Schaufenster der Shops des Szeneviertels Beyoglu oder im neueren Stadtteil Sisli lassen durchaus Rückschlüsse auf die im trauten Heim ausgelebten Leidenschaften für Dekoration und Verkleidung zu. Im Vergleich dazu wirkt die Installation mit ihren farblich minimalistisch gehaltenen Rahmungen fast ein wenig nüchtern. Doch wir befinden uns in einer Diskurszone und nicht im Paradies des Begehrens; und im Kontrastfeld des Kunstbetriebs. Denn diese Ausstellung macht wieder einmal deutlich, dass eine Reihe großer Künstlerinnen der Gegenwart immer noch auf der Landkarte der Ausstellungen unserer unmittelbaren Umgebung fehlt. Dafür ist dem Salzburger Kunstverein zu gratulieren. Mit dem Zuruf: weiter in diese Richtung.
Mehr Texte von Roland Schöny

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Gülsün Karamustafa
17.07 - 14.09.2008

Salzburger Kunstverein
5020 Salzburg, Hellbrunnerstrasse 3
Tel: +43 (0) 662/84 22 94-0, Fax: +43 (0) 662/84 07 62
Email: office@salzburger-kunstverein.at
http://www.salzburger-kunstverein.at
Öffnungszeiten: Di-So 12-19h


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