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...5 minutes later: Gutes Timing

Manchmal wünschte man sich, das Schreiben einer Kritik wie dieser würde bloß fünf Minuten kosten. Denn das dürfte ungefähr auch die Zeit sein, die Sie, liebe Leser, dafür aufwenden, sie zu verschlingen. Aber leider ist es mit dem reinen Tippen nicht getan, weil davor ja noch der eine oder andere schwerwiegende Gedanke gewälzt, ein unfehlbares Urteil gefällt und die dazugehörige Begründung in feinziselierte Worte gefasst werden will. Und so was kann schließlich dauern. Nun ist es aber so, dass dieses Missverhältnis, diese himmelschreiende Ungerechtigkeit, nicht nur den Kritiker, sondern auch - und das ist, nicht wahr, beinahe noch wichtiger - den Künstler betrifft, der aufgrund des anhaltenden Kunst-Hypes zurzeit mitunter in die schlimmste Verlegenheit gerät, den Heißhunger des Publikums zu stillen, der sich jetzt auf all den unzähligen Ausstellungen, Biennalen und Messen Genüge tun will. Mit den Folgen, dass manches mittlerweile wirklich so aussieht, als hätte es sein Schöpfer in höchstens fünf Minuten dort hingespien. Und so kommt diese experimentelle Schau also gerade zur rechten Zeit, nach einem solchen Jahr wie dem letzten, jenem Annus mirabilis der künstlerischen Großereignisse, aber seltenen Großtaten. Denn die Kuratorin - und überhaupt neubestellte Leiterin der Kunstwerke - Susanne Pfeffer hat sich hier zur Zuchtmeisterin aufgeschwungen und die Künstler unter ihre chronisch strenge Knute gezwungen: Diesmal durften sie tatsächlich nur fünf Minuten für die Herstellung des Auftragswerkes brauchen. Ein kuratorischer Coup, dem es dabei gelingt, gleich mehrere die Neuzeit und Moderne beschäftigende ästhetische Diskurse aufzurufen, so den Gegensatz zwischen disegno (der Skizze) und pittura (dem vollendeten Meisterwerk) oder, uns zeitlich näherstehend, den zwischen Konzept und Präsenz, während durch die Anmaßung der akademischen Aufgabenstellung auch noch die Frage nach dem aktuellen Stellenwert der handwerklichen oder technischen Kunstfertigkeit lanciert wird - eingedenk der Tatsache, dass ja der Dilettantismus grassiert, d.h. jeder Künstler sich heute in jedem Medium versuchen möchte. Aber siehe da, die 15 eingeladenen Künstler bekümmert dieser theoretische Ballast offensichtlich recht wenig (nur Robert Barry hat, wenig überraschend, als einziger darauf explizit Bezug genommen), und auch sonst scheint der Druck - der Erwartung, der Perfektion - großteils von ihnen abgefallen, sodass eine merkliche spielerische Energie frei wurde, die dem fapresto-Diktat die vielgestaltigsten Lösungen abgetrotzt hat, von der eher versteckten Intervention bis zur großen, ausladenden Geste. Das zeigt sich bereits im Erdgeschoß, wo Ceal Floyer mittels eines Markierungswägelchens, das nach Ablauf der zugestandenen Zeit irgendwo im Raum gestrandet ist, eine halsbrecherisch anmutende, weil zum Teil über Treppen führende Linie gezogen hat, wohingegen Douglas Gordon ebendort eine Freiwillige platziert hat, die er vorher santiagosierramäßig mit einer Nackentätowierung bezeichnen, d.h. aber auch zum lebenden Kunstwerk adeln ließ: jeweils eine bahnbrechende Erweiterung des Skizzenbegriffs, einmal in den Raum, einmal in den Körper hinein. Solche Korrespondenzen, die eigentlich nur dem Zufall geschuldet sind bzw. sein können, aber kraft der Hängung oder Stellung der Exponate zueinander subtil inszeniert werden, treten tatsächlich des öfteren auf, ja wirken als ein feines Gespinst durch die gesamte Ausstellung: Denn den von Annette Kelm auf Polaroid gebannten roten Kussmund (der Kuratorin) darf man wohl getrost mit der nebenan installierten, zerwühlten Bettstatt von Hans-Peter Feldmann zusammensehen, welchem Arrangement ein Stockwerk darüber das für seine Verhältnisse äußerst imperfekt gefertigte, aber dafür umso charmantere "Keep out!"-Hoteltürschildchen von Thomas Demand schließlich die geheimnisvolle Note verleihen könnte. Wirklich mysteriös - und eine wunderbare Koinzidenz - ist aber, wie diese in der Phantasie wuchernden Verästelungen auch auf die angrenzende Ausstellung übergreifen können, wie also Lutz Mommartz` Filme "Wege zum Nachbarn" (1968), der das Gesicht einer jungen Frau beim Geschlechtsverkehr zeigt, und "Als wär`s von Beckett" (1975), in dem ein nicht mehr ganz so junges Paar die Zerrüttung ihrer Liebe vor der Kamera zelebriert, die angedeutete Geschichte zu einem fait accompli machen. Aber so was braucht meistens länger als fünf Minuten.
Mehr Texte von Peter Kunitzky

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27.01 - 09.03.2008

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