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Ausgewählte Augenblicke

Auf der Viennale 07 brachte es Glück, wenn man beim Ja zum richtigen Filmprogramm auf ein altmodisches Rezept vertraute: Etwas Altes, etwas Neues, etwas Blaues, etwas Geborgtes. Ein einzelnes großes Thema war ja nicht zu finden, dafür aber viele parallele Schienenstränge - nicht nur für Abenteurer und Wagemutige. Neben neuen Werken von Claude Chabrol (La fille coupée en deux), Ulrich Seidl (Import Export), Todd Haynes (I`m Not There), Gus Van Sant (Paranoid Park) oder den Coen Brothers (No Country For Old Men), die entweder schon oder sehr bald im Kino zu sehen sind, gab es eine Reihe wunderbarer Begegnungen mit Seltenheitswert zu erleben. Zu diesen leisteten die Retrospektiven einige einmalige Beiträge. In der Filmreihe zum proletarischen Kino, jeweils nur mit einer einzigen Vorstellung im Programm, waren etwa nicht nur Filmdokumente über Maifeiern, sozialdemokratische Verbesserungsmaßnahmen oder Ereignisse wie den Brand des Justizpalastes 1927 zu sehen, sondern in der Kurzreihe über den Filmkritiker Fritz Rosenfeld auch rare Spiel- und Essayfilmjuwelen. Das Erstaunen über die sechsminütige Aufnahme eines anonymen Kameramanns der Lichtbildstelle der Schulabteilung der Wiener Sicherheitswache, der die II. Internationale Arbeiterolympiade in Wien am 26. Juli 1931 mit ungeahnter Lebensnähe aufnahm, wurde beinahe noch getoppt durch Originalität und Charme eines kurzen Essays mit dem schon sehr vielversprechenden Titel "Montparnasse ou le poème du café crème" (Regie: Eugène Deslaw; F 1929). Das ob seines leidenschaftlichen Appells zum Pazifismus und einer avantgardistischen Gestaltung sehr intensive Kriegsdrama "Niemandsland" (Regie: Viktor Trivas; D 1931) um fünf "Feinde", die der Krieg in einem Kellerloch zwischen den Fronten zusammen würfelt und die gemeinsam beschließen, sich nicht länger regieren zu lassen, spielte allerdings noch mal in einer anderen Liga mit. Die Fortsetzung von "Niemandsland" im Kino der Gegenwart war "La France" von Serge Bozon, ebenfalls ein "anderer" Film über den Ersten Weltkrieg, in dem eine desertierte Kompanie aus sanften Männern sich jederzeit in eine melancholische Combo mit selbstgebastelten Instrumenten verwandeln konnte, um ein Lied über ein blindes Mädchen vorzutragen. Mit dem Kontrast von Übersteigerung und Understatement spielte auch Philippe Ramos in seiner leider gescheiterten Melville-Paraphrase "Capitaine Achab". In fünf Kapiteln - erst das letzte stimmt mit dem Handlungszeitraum aus "Moby Dick" überein - werden der mysteriösen Romanfigur eine Kindheit und eine Jugend hinzu gedichtet, keine erwähnenswerte allerdings, was die an sich vielversprechende Idee leider mit der Pequod zusammen untergehen ließ. Wie lange ein Konzept selbst noch im Verblauen gehalten werden kann, demonstrierte James Benning mit der Dokumentation "Casting a glance". Wieder einmal zeigte der Avantgarde-Filmemacher lange Sequenzen, Filmmaterial, das er im Lauf von mehreren Jahren zu unterschiedlichen Jahreszeiten unter dem Himmel von Utah vor Robert Smithsons Land Art-Monument Spiral Jetty (1970) am Great Salt Lake drehte. Kongenial paraphrasierte Benning mit seinem mit achtzig Minuten Länge nicht unbedingt einfach zu rezipierenden Film die in der Land Art u.a. intendierte Konsum- und Gesellschaftskritik. Formal und politisch ähnlich war die stumme Dokumentation "At Sea" von Peter Hutton angelegt. Es ging darin allerdings noch mehr um das Verstreichen der Zeit und um Entstehung und Verfall - eines Frachtschiffs dieses Mal. Von etwas Geborgtem ging die amerikanische Regisseurin Stephanie Rothman aus. Die Kultfigur des Exploitation Cinema war Schülerin von Roger Corman und drehte mit "The Student Nurses" 1970 den ersten Film für dessen neu gegründete Produktionsfirma New World Pictures. Im Viennale-Programm liefen fünf Spielfilme aus ihrem schmalen Œuvre, zu denen sie selbst - klein, zart und sophisticated - je eine eigene kurze Vorlesung hielt. Unter Titeln wie "The Velvet Vampire", "Group Marriage" oder "Terminal Island" verbargen sich im Gewand leichter Konsumierbarkeit Diskurse und politische Botschaften der frühsiebziger Jahre über Feminismus, Staatsgewalt, Strafvollzug oder die Situation von Schwulen und Lesben. Stephanie Rothman sprach, wie sie Regie geführt hatte: intelligent, sehr pointiert, mit leicht trockenem Humor, aber ohne große Geste. Vielleicht verschaffte sie uns gerade deshalb einige der eindrucksvollsten Momente des Festivals in diesem Jahr. www.viennale.at
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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