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Legende im Schaukelstuhl

Tote leben länger. Der legendäre Outlaw Jesse James starb 1882, der Western wurde als Genre Mitte der 1990er Jahre totgesagt. Doch es sieht so aus, als ließe sich mit dem Mythos des ersten auch die Aussagekraft des zweiten fortschreiben. Andrew Dominiks "The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford" leistet in dieser Hinsicht Herausragendes. Der Film handelt vom letzten halben Lebensjahr des kriminellen Südstaatlers mit der romantischen Legende, von seinem Doppelleben unter falschem Namen mit Frau und Kindern, den Geschichten, die ihm schon zu Lebzeiten auf den Leib geschrieben wurden, - und von seinem Freund und Mörder Robert Ford. Von Clint Eastwoods "Unforgiven" übernimmt Dominik die Realistik, die Lebensnähe zum Gegenstand des Legendären, von Jim Jarmushs "Dead Man" die Melancholie des angekündigten Todes und das elegisch Balladenhafte. "The Assassination of Jesse James" zeichnet sich durch einen interessanten Soundtrack aus. Die von Nick Cave und Warren Ellis komponierten Musikthemen klingeln wie Spieluhren die Märchenstunde der aus dem Off gesprochenen Erzählung ein und ziehen später den Soundhimmel zur immer zerdehnter werdenden Zuspitzung der Ereignisse zu. Nick Cave selbst tritt als Bänkelsänger mit einer originalen Moritat über die "Assassination" auf. Die Stilisierung des historischen Jesse James, den Brad Pitt verkörpert, konzentriert sich auf die physische Präsenz - und wie diese von seinem Verehrer Robert Ford wahrgenommen worden sein mag. Pitt gibt den Menschen Jesse James als Ausnahmeerscheinung: ein schönes Ungeheuer, nicht unähnlich seinem Achilles in Wolfgang Petersens "Troja". Diese Überlebensgröße belässt Jesse James so fern, wie eine Legende zum Leben steht. Doch genau so wurde Jesse James von Robert Ford beschrieben. Casey Affleck als sein Mörder dagegen kann ausgiebig die Gelegenheit nutzen, Robert Ford in einer sehr menschlichen Mischung mit liebenswerten und schwächelnden Eigenschaften auszustatten. Den Mord, zu dem ihn seine Ambition drängt, wird Ford später mehr als 800 Mal auf der Bühne nachspielen, bevor er sich eingesteht, dass er ihn bereut - und er selbst wegen dieser Tat ermordet wird. "The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford" schlägt ein neues Kapitel in der Darstellung der klassischen Westernmythen auf. So geht es beispielsweise wohltuend weniger um Männlichkeitsfantasien als um die große psychologische Spannung zwischen dem bereits den Boden unter den Füßen verlierenden Outlaw und seinem glühendsten, zum Mord entschlossenen Fan. Dieses komplizierte, fast libidinöse Verhältnis wird in erlesenen Bildern melancholisch ausgekostet. Einer sich ins Superlativische steigernden Mythenrhetorik steht die Ermordung als zerdehnter Antiklimax gegenüber. Was sich nun endgültig verabschiedet zu haben scheint, ist die romantische Vorstellung vom Wilden Westen als einem Ort ganz außerhalb von Zeit und Leitkultur. Die Lebenswelt von Jesse James wird im Film akribisch rekonstruiert, bis zu Details, die gar nicht zu sehen sind. Dem Italowestern hatte die Tendenz zum Realismus dazu gedient, das Genre schmutziger zu machen. Mit "The Assassination of Jesse James" hat sich im Western nun die Konsequenz daraus, eine historistisch rekonstruktive Sichtweise, endgültig durchgesetzt. Diese neue Erdung des alten Mythenspiels ist ungemein aufregend. Sie hat das Zeug, das Genre vom Kopf nochmal ganz neu auf die Füße zu stellen. The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford USA 2007, 160 min Buch und Regie: Andrew Dominik Mit: Brad Pitt, Casey Affleck, Sam Shepard, Sam Rockwell u.a. jessejamesmovie.warnerbros.com Ab 25. Oktober im Kino.
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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