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Talking Pictures. Theatralität in zeitgenössischen Film- und Videoarbeiten: Vorhang auf

Wer in den letzten Jahren einmal eine der avancierteren deutschen Theaterbühnen besucht hat, der wird hierbei zwei Beobachtungen unmöglich vermieden haben können: Man lässt dort - ganz im Sinne des unverbrüchlichen "Épater la bourgeoisie!" - neuerdings wieder äußerst gerne die Hosen runter. Und wenn der Regisseur zu den ganz Wilden gehört, dann kombiniert er dieses archaische Stilmittel noch mit dem exzessiven Einsatz verstörender Videos, sodass denen, die vor lauter Scham nicht schon die Augen geschlossen haben, nun vollends Sehen und Hören vergeht bzw. vergehen soll. Dass sich das Verhältnis zwischen Theater und bildender Kunst aber keineswegs einseitig, sondern durchaus reziprok gestaltet, dass also auch bildende Künstler vermehrt aus dem Theaterfundus schöpfen, diese dramatische Diagnose stellt man nun im Düsseldorfer K21 anhand von zehn (installativen) Film- und Videoarbeiten, die allesamt erst im neuen Jahrtausend entstanden. Und bei so viel beschworener Interdisziplinarität und wechselseitiger Anteilnahme kann es wohl nicht verwundern, wenn man sich auch hier gleich wieder dem nächsten Striptease gegenübersieht, einem seelischen zwar nur, aber immerhin. Gillian Wearing ist es, die in "Trauma" durch eine Annonce gefundenen Opfern von Missbrauch und Gewalt die Möglichkeit bietet, ihre - irritierend flüssig vorgetragenen - Leidensgeschichten zu erzählen. Der Horror rührt dabei nicht nur von den beklemmenden Einzelheiten der jeweiligen Passionen, sondern auch von dem recht maliziös ersonnenen Setting, das uns zwingt, den unter Kindermasken verborgenen - und damit unserer Phantasie anheimgegebenen - Traumatisierten in einer Intimität geradezu erzwingenden "Confessional Box" zu begegnen. Eine andere, sozusagen materielle Form der Maskierung wählt wiederum T.J. Wilcox, der seinen "Garlands" genannten Filmketten, Miniaturen historischen, kulturellen oder ganz alltäglichen Inhalts, eine prononciert nostalgische Anmutung verleiht, indem er all die Photographien, Postkarten, gefundenen oder selbst gedrehten Szenen zuerst mit einer Super 8-Kamera aufnimmt, dann für die manipulierende Bearbeitung auf Digitalvideo überträgt, um sie schließlich auf 16 mm-Format zu überspielen; die die Tonlosigkeit kompensierenden Untertitelungen sowie das laute Rattern der sechs nebeneinander platzierten Projektoren tun ferner das Ihre, um den antiquarischen Charme des Arrangements noch zu erhöhen, während der sich aus Gründen der Sicht vor den Apparaten befindliche Betrachter damit beschäftigt ist, seinen Schatten von den Leinwänden fernzuhalten und sodann einen Zusammenhang zwischen den einzelnen "Girlanden" zu konstruieren - und sich somit auf zweifache Weise in das Werk einbringt -, der aber höchstens in einer melancholischen oder vielleicht morbiden Grundstimmung bestehen dürfte. Mithin zwei durchaus bemerkenswerte Beispiele einer Themenausstellung, deren Verdienst wohl eher darin besteht, solche Einzelarbeiten (vielleicht noch hervorzuheben: Yang Fudongs - eben auch auf der Biennale gezeigtes - betörend schönes Epos "Seven Intellectuals in Bamboo Forest, Part 1" sowie Markus Schinwalds kryptischer `Hotelfilm` "Dictio pii") versammelt zu haben, deren Grundgedanke aber möglicherweise doch zu hinterfragen ist, denn das "entdeckte" Phänomen ist ja keineswegs ganz so neu, wie man es hier gerne hätte, sind doch Theatralität oder Textualität oder Narrativität, nachdem die formalistischen Diktate der 60er und 70er Jahre abgetan waren, schon lange keine tabubelegten Fremdwörter mehr (Yvonne Rainer, James Coleman, Matthew Barney, ...) Und so könnte man den Eindruck gewinnen, dass man bei der Konzeption der Schau nicht - entdeckergleich - nach vorne geblickt, sondern mehr zur Seite geschielt hat, weswegen man sich auch von der Kulturtheorie das dort gerade grassierende Schlagwort der Performanz geborgt hat, um so gestärkt für die Videokunst etwas aufzuweisen, was, wie man so hört, andernorts - jenseits der Gattungsgrenze - ebenfalls gerade sehr dominierend sein soll: die neue Lust am Figurativen, am Fabulieren und Phantasieren. Und so sehn wir betroffen den Vorhang zu und doch einige Fragen offen.
Mehr Texte von Peter Kunitzky

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Talking Pictures. Theatralität in zeitgenössischen Film- und Videoarbeiten
18.08 - 04.11.2007

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Tel: +49-(0)211-8381-130, Fax: +49-(0)211-8381-201
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