Werbung
,

Der Kuss der Sphinx - Symbolismus in Belgien: "Die Idee in eine sinnliche Form kleiden"

Noch immer haben wir unsere Schwierigkeiten mit der Kunst des 19. Jahrhunderts. Als formal innovativ von der Klassischen Moderne abgesegnet, gelten nur die Impressionisten und ihr unmittelbarer Umkreis als wirklich gesellschaftsfähig, während am anderen Ende der Skala die Kunst der Akademien und Salons, die Historien- und Genremalerei derselben Zeit, selbst heute noch das von der Moderne aufgedrückte Brandzeichen des Wertlosen trägt. Dazwischen liegt der Symbolismus, nicht Fisch, nicht Fleisch sozusagen, obwohl man sich seiner weit reichenden Bedeutung rational sehr wohl bewusst ist. Doch seine gegenständliche, literarische Form verhindert oft, dass dieses Wissen auch zur Anwendung gelangt. Selbst die symbolistischen Frühwerke von Ikonen der Moderne wie Kandinsky, Kupka oder Mondrian werden sehr viel weniger geschätzt als deren abstrakte Bildfindungen, obwohl die Abstraktion sich - wie der Expressionismus - aus dem Symbolismus ableiten lässt. Neben England und Frankreich ist es unter anderem Belgien, das zum Reichtum der Erscheinungsformen des Symbolismus beigetragen hat, ja in dem zusammen mit Frankreich der literarische Symbolismus entstand. Der elegante mythologische Individualismus eines Fernand Khnopff, der farbenprächtige, böse gesellschaftskritische Primitivismus eines James Ensor oder die nicht minder entlarvenden, pornografischen Karikaturen von Félicien Rops sind jede in ihrer Art einzigartige Formulierungen innerhalb einer subjektivischen, bildmächtig die dunkle Seiten der menschlichen Psyche reflektierenden Kunst. "Die Idee in eine sinnliche Form kleiden", nannte das der französische Dichter Jean Moréas in seinem "Manifest des Symbolismus" von 1886. Bilder für das Unbehagen in einer säkularisierten, fortschrittsgläubigen Umbruchszeit finden, könnte man es auch nennen. Es sind Bilder aus einer Welt, die derjenigen - unserer - voran ging, in der das Unbehagen zur Kondition geworden ist. Das Kunstforum zeigt den ganzen Reichtum symbolistischer Malerei und Graphik in Belgien. Zu den ausgestellten Hauptwerken gehört ganz oben auf der Liste das Porträt von Marguerite Khnopff im weißen Kleid, gemalt von ihrem Bruder Fernand, dem "Obermystiker aus Brüssel" (Ludwig Hevesi), das der Künstler bei sich behielt, um es altarartig zu inszenieren und "anzubeten". Weiters ist die blasphemische "Versuchung des heiligen Antonius" von Félicien Rops da, ein Blatt mit einer schönen, nackten Frau am Kreuz, das der Heilige entsetzt anbetet, sowie die Graphik "Pornokrates", das eine halbnackte Demi Monde-Schöne zeigt, die mit verbundenen Augen ein Schwein an der Leine führt. Diese farbigen Zeichnungen gehörten übrigens zu den Inspirationsquellen Josephs von Sternbergs, die zur Besetzung von Marlene Dietrich im "Blauen Engel" führten. Von George Minne ist die zarte Knabenskulptur "Kleiner Reliquieträger" vorhanden. Aber auch die Werke von Künstlern, die es nicht geschafft haben, sich in den Kanon einzuschreiben, sind im Zusammenhang interessant: Die mit überbordenden Blumenarrangements (und anderen Formen) gefüllten Bilder von Léon Fréderic oder Henriy de Groux’ Wagner-Illustrationen. Die Theorie von den Archetypen des kollektiven Unbewussten kam zwar erst viel später zu Wort. Bei den Symbolisten ist sie aber bereits im Bild.
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Der Kuss der Sphinx - Symbolismus in Belgien
16.10.2007 - 03.02.2008

BA-CA Kunstforum
1010 Wien, Freyung 8
Tel: +43 (1) 537 33/10-17
Email: office@kunstforum-wien.at
http://www.kunstforumwien.at


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: