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Kriege und Bilder

Die Löwen sind vergeben: Ein goldener ging an den taiwanesischen Regisseur Ang Lee für den Spionage-Thriller "Se, jie (Lust, Caution)", sein zweiter innerhalb von zwei Jahren. Einen silbernen darf sich der amerikanische Regiealtmeister Brian De Palma für sein fiktionales Irak-Dokudrama "Redacted" in die Vitrine stellen. Der bis zuletzt als Favorit gehandelte Spielfilm "La Graine et le mulet" des in Tunesien geborenen Franzosen Abdellatif Kechiche über eine arme Immigrantenfamilie in Frankreich erhielt ex aequo mit Todd Haynes` Bob Dylan-Annäherung "I`m not there" den Spezialpreis der Jury und einen von zwei Preisen, die die internationale Filmkritikervereinigung FIPRESCI in Venedig vergab. Die Löwen sind vergeben, aber gemessen an der Qualität der Filme handelt es sich dabei wohl eher um Kätzchen. Nach einer guten Woche mit wechselhafter Witterung - und einer Tag für Tag besorgniserregenderen Wertung durch italienische Filmkritiker in der täglichen Ausgabe der Gratis-Festivalzeitung CIAK in Mostra - ist man schon froh, dass doch einer der guten Filme die begehrte Trophäe erhalten hat. "Se, jie" (Lust, Caution), in Österreich ab 19. Oktober im Kino, handelt von einem im Westen wenig beachteten Kapitel der chinesischen Geschichte: dem Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg (1937-45). Eine Gruppe von Studenten plant, einen kaltblütigen, brutal agierenden Kollaborateur der Japaner zu töten. Weil dieser aber extrem vorsichtig und abgeschirmt ist, gibt sich eine der jungen Frauen dazu her, als seine Geliebte eine Gelegenheit zu seiner Ermordung zu schaffen. In über zweieinhalb Stunden spielt der Regisseur, der vor zwei Jahren mit "Brokeback Mountain" am Lido reüssierte, in handwerklicher Perfektion die nötigen Handlungen und ihre zerstörerischen Konsequenzen für seine Protagonistin durch - von der Notwendigkeit, sich für ihre Rolle als vorgeblich verheiratete Geliebte von einem Mitverschworenen deflorieren zu lassen bis zu den widersprüchlichen Emotionen, die der - ausführlich dargestellte - explizite Körpereinsatz auslöst. Mit "Redacted" von Brian De Palma wurde dagegen eines der umstritteneren Werke geehrt. Die Skala der Meinungen reichte von Anerkennung bis zum Vorwurf der Naivität und plumpen Gegenpropaganda. De Palma hatte sich eines der von US-Soldaten begangenen Gräuel im Irak zum Thema genommen: Die brutale Vergewaltigung und Ermordung eines 14-jährigen Mädchens und die Ermordung von Mitgliedern ihrer Familie. Sein Film besteht aus - eigens hergestelltem - Material, das aussieht wie die Bilder aus dem richtigen Leben: TV, Internet, Überwachungskameras, private Videos - Medien, die bildende Künstler seit Jahren für kritische Arbeiten über Krieg und Gewalt verwenden. De Palma kam mit seiner formalen Lösung um diese Jahre zu spät heraus. Um über Dinge zu berichten, die wir im Prinzip schon wissen, reicht die gute Absicht nicht. Ein solches Projekt steht und fällt mit seiner Form. Doch gerade ein formal wesentlich interessanterer Wettbewerbsbeitrag wie "En la ciudad de Sylvia" des Katalanen José Luis Guerín wurde bisher noch nicht einmal von der Kritik wirklich gewürdigt. Dabei ist das ein Film, vor dem man wie festgebannt im Kino sitzt. Guerín zieht Blickachsen durch die Stadt, fokussiert immer wieder anders, erforscht so den Raum und die Menschen darin. In einer Schlüsselszene paraphrasiert er Édouard Manets Spätwerk "Un bar aux Folies-Bergère" von 1881/82 und spätestens an dieser Stelle wird klar, worum es geht: Um das moderne Leben, die Passanten, das Flüchtige, Vorüberziehende, das doch so voll ist von Geschichten. "En la ciudad de Sylvia" tritt das Erbe von Baudelaire, Manet und Benjamin an und ist zugleich so ein wundervolles Beispiel für die Möglichkeiten, die nur der Film besitzt: Die Gegenwart darzustellen in ihrer unendlichen staunenswerten Vielgestalt. Doch solche Sensationen, eigentlich die Essenz des Mediums, sind nicht sensationell genug, wenn das deklarierte Thema des Festivals, wie dieses Jahr klar ausgesprochen, Krieg heißt. www.labiennale.org
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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