Werbung
,

Gesellschaftsbilder - Zeitgenössische Malerei: Aber Jonathan Meese ist auch kein Realist

Kunst bereichert. Zurzeit vor allem diejenigen, die mit ihr Handel treiben, in ihr also wesentlich die schöne Ware sehen. Ob die Kunst aber über ihre dekorative Funktion hinaus heute auch noch für das Wahre und Gute einzustehen vermag und folglich ebenso ihre epistemologischen und moralischen Werte zählen, sie mithin einen geistigen Gewinn bedeuten kann, das wollte man nun im Hamburger Kunstverein herausfinden. Und befragte darauf hin die zeitgenössische Malerei, also das nach eigener Einschätzung "vom Markt am stärksten korrumpierte Medium". Und erwählte dafür das ganz und gar altertümliche Genre des Historienbilds, hier Gesellschaftsbild genannt, wobei der Begriff der Gesellschaft, wie der Kurator und Direktor des Kunstvereins, Yilmaz Dziewior, in einem Interview einbekannte, allerdings so weit gefasst ist, dass er nahezu alles in sich schließt. Und berief endlich noch Jacques Rancière zum intellektuellen Schutzheiligen der Veranstaltung, den mittlerweile bei allen möglichen und unmöglichen Anlässen munter herbeizitierten Diskurs-Kaiser, der bekanntlich wie kein anderer das Politische und das Ästhetische zusammendenkt, ja die Kunst bereits a priori für politisch hält. Und so hatte man sich folglich selbst - thematisch und theoretisch - den Freibrief dafür ausgestellt, aufs Ganze gehen zu dürfen, weil hier kaum etwas den lose definierten Rahmen tatsächlich hätte verfehlen können. Das Ergebnis dieser allzu großen Freiheit lautet jedoch Beliebigkeit (die von Rancière aber immerhin gedeckt ist, weil sie für ihn die autoritäre Ordnung im Regime der Künste untergräbt), sowohl was das eigentliche Medium - Installation, Wandbild, Collage, Leinwandgemälde - als auch, und natürlich, das Sujet betrifft. Ebendiese sozialen Phänomene verlieren sich dabei jedoch auffällig oft im Vagen (Minerva Cuevas könnte sich in ihrer plakativen Wandarbeit über die Versäumnisse der mexikanischen Regierung bei der Bekämpfung des Drogenhandels verbreiten, aber genauso gut zwei Mistkäfer porträtiert haben, die eine Pille eines deutschen Chemiekonzerns über die Klatschmohnwiese rollen, während sie von einer riesigen Giftspritze tödlich bedroht werden) oder ergründen die Untiefen der Banalität (Gunter Reski widmet sich in ausladender Weise der Feststellung, dass die Sonnenbrillen in den letzten Jahren immer größer werden). Wäre man nun aus altem Schrot und Korn, dann müsste man diese Ausflüchte ins Weitläufige bzw. Flache - selten hingegen in ironische Gefilde - als eine Art Desertion werten, denn die Künstler haben hier dem Kampf abgeschworen, sie versuchen nicht mehr - wie weiland etwa ein Courbet (oder ein Brecht oder ein Debord ...) -, die beharrenden Kräfte des Faktischen zurückzudrängen und stattdessen ein neues Realismusparadigma zu installieren. Die Widerstände werden also nicht mehr überwunden, sondern die Gegenstände "verhandelt" (© Jargon): Man hat somit kapituliert und möchte jetzt seinen Separatfrieden schließen. Aber wer will es ihnen verübeln, wer erwartet heute, von Jonathan Meese vielleicht einmal abgesehen, wirklich noch revolutionäre Anstöße von der Kunst? Und das, wo die umzuwälzende Realität zunehmend abhanden kommt, sich immer mehr in den medial vermittelten Schein auflöst. Wozu dann auch passt, dass einige der Künstler sich doch mehr ihrem eigenen Medium zuwenden (gerade Gunter Reski wandelt auf den Spuren von Magritte, indem er demonstriert, dass auch Wörter nur Bilder von Wörtern sind; Eberhard Havekost malt nach fotografischen Vorlagen und hebt dabei vor allem auf das Herauspräparieren der Bildhaftigkeit - Ausschnitthaftigkeit. Zweidimensionalität - ab), sich also mehr mit sich und ihrem Tun beschäftigen als mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit, die irgendwo da draußen lauert. Doch das könnte vielleicht auch als Befund für die Gegenwart taugen.
Mehr Texte von Peter Kunitzky

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Gesellschaftsbilder - Zeitgenössische Malerei
15.09 - 30.12.2007

Kunstverein in Hamburg
20095 Hamburg, Klosterwall 23
Tel: +49 40 33 83 44, Fax: +49 40 32 21 59
Email: hamburg@kunstverein.de
http://www.kunstverein.de/
Öffnungszeiten: Di-So 12-18 h


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: