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Roger Ballen - Schattenkabinett: White Trash, Black Magic

Ein mächtiges, irgendwie nestförmiges Drahtgestrüpp schwebt unheilschwanger über einem Mann, der sich, in eine schützende Decke gehüllt, aus der nur die schreckensstarren Augen hervorblitzen, ängstlich-erwartungsvoll darunter duckt. Oder: Ein junger Mann hält - trophäengleich - eine Katze vor sich her, gegen deren allfällige Renitenz er sich mithilfe des dürftigen Überrests eines Drahtkorbs zu wappnen sucht. Es sind Bilder wie diese, photographische Bilder, die subkutan noch immer von ihrem überkommenen Nimbus der Wahrhaftigkeit zehren (und diese hier sind auch wirklich analog aufgenommen), die der Verstand als so skandalös empfindet, weil sie ihn in tiefe Verwirrung stürzen. Denn er kann sie nicht enträtseln, kann genausowenig ihre Bedeutung enthüllen (auch die Bildtitel helfen da kaum), wie er die oftmals vermummten - oder im Gegenteil nahezu nackten, aber das ist hier vielleicht ein und dasselbe - bzw. auch verlarvten Gestalten zu demaskieren, zu identifizieren, also fest-zustellen vermag. Dafür sind diese Bilder des amerikanischen Photographen Roger Ballen nämlich viel zu quecksilbern, changieren auf mehreren Ebenen viel zu sehr zwischen unvereinbaren Wahrnehmungspunkten, als dass sie letztlich einfach zu fassen wären: So evozieren viele davon die unheimliche Atmosphäre eines drohenden Verhängnisses - Manifestation einer dunklen, unnennbaren Macht, die sich vielleicht in den immer wiederkehrenden geisterhaften Wandkritzeleien zu erkennen gibt -, künden unleugbar von Gefahr und Gewalt, während sie diesen subtilen Horror zugleich mit der Zurschaustellung unbeschwerten Frohsinns oder zarter Gesten der Sorge zu konterkarieren scheinen (folglich weiß man etwa bei "Puppy between feet" nicht zu entscheiden, ob die schmutzstarrenden Füße den Welpen zermalmen oder im Gegenteil behüten möchten). Des Weiteren bewahren diese Photographien eine erstaunliche Äquidistanz zwischen dem Status eines Schnappschusses (ein Filmportrait im Rahmen der Ausstellung gibt Auskunft über die durchwegs spontane Arbeitsweise Ballens) und dem einer wohldurchdachten Komposition, wofür alleine schon die differenzierten Grauwerte sprechen, die die Spannung zwischen Dramatik und Humor erst zu halten vermögen. Und damit zusammenhängend - und insofern die Ballens Schaffen durchwaltende Ambivalenz vom Inhalt über die Form bis zum Genre verfolgend - oszillieren die Aufnahmen zu guter Letzt auch noch zwischen der dokumentarischen und der inszenierten Photographie, wobei das inszenatorische Moment nunmehr jedoch merklich zu überwiegen scheint. Nichtsdestoweniger greift Ballen, der Autodidakt, den es vor drei Jahrzehnten als Geologen nach Südafrika verschlug, dabei aber immer noch auf dasselbe Personal zurück, mit dem er früher seine aufsehenerregenden Reportagen bestritt: damals, als er unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Apartheid-Regimes mit der Serie "Platteland: Images of a Rural South Africa" (1994) den deklassierten Teil der Buren-Gesellschaft, nun ja, ausstellte (bekanntestes Beispiel hierfür vielleicht: "Dresie and Casie", ein - man kann es nur schwerlich anders nennen - debiles Zwillingspaar, dessen ungeschönte Aufnahme mitsamt herabtropfenden Speichelfäden Ballen nicht ganz zu Unrecht, und darin einer Diane Arbus vergleichbar, den Vorwurf des Sozialvoyeurismus eingetragen hat) und damit ein treffendes Zeit-Bild, eine Art Menetekel für die virulenten Ängste der nun entmachteten Schicht fand. Seitdem - und zwar mit den darauf folgenden Serien "Outland" (2001) und "Shadow Chamber" (2005) - verabschiedet sich Ballen aber zusehends von der reinen Reportagephotographie und übt sich stattdessen in der Erfindung surreal wirkender Szenen, die wie aus dem archaischen Unbewussten aufgestiegen scheinen und dokumentarische Absicht, bühnenhafte Inszenierung und afrikanische Mythologie miteinander verschmelzen, um die Tragikomödie des menschlichen Lebens symbolisch zu fassen. Mit anderen Worten: Der umgeschulte Geologe Roger Ballen kann’s nicht lassen und hat sich nach der Untersuchung der sozialen Verwerfungen nun darauf verlegt, Probebohrungen in die menschliche Psyche durchzuführen. Und das, was er dabei zutage fördert, ähnelt letztlich wohl doch mehr Gold als taubem Gestein.
Mehr Texte von Peter Kunitzky

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Roger Ballen - Schattenkabinett
25.05 - 26.08.2007

Deichtorhallen
20095 Hamburg, Deichtorstraße 1+2
http://www.deichtorhallen.de
Öffnungszeiten: Di-So 11-18 h


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