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Die Musik des Auges

Männerhände zählen Geld, Frauenhände spielen Klavier. Wer hätte vermutet, dass der erste feministische Film, "Das Lächeln der Madame Beudet", schon 1922 entstanden ist? Da er von derselben Regisseurin stammt wie der erste surrealistische Film, "Die Muschel und der Kleriker", brauchte es nur noch ein drittes Schlüsselwerk - "Einladung zur Reise" - für eine wunderbare Filmauswahl einer Pionierin des frühen Films, auf DVD erschienen in der arte-edition. In Frankreich war Germaine Dulac (1882-1942) die zweite Frau, die als Regisseurin gearbeitet hat. Ihre Meinung über die Institution der bürgerlichen Ehe äußerte sie in "Das Lächeln der Madame Beudet" ziemlich unverblümt: provinzielle Enge und eheliche Lieblosigkeit, männliches Dominanzgebahren und musisch-eskapistische Ohnmacht stecken den Rahmen ihrer auf einem Theaterstück basierenden Erzählung eines Ausbruchsversuchs und seines Scheiterns ab. Wichtig ist Dulacs Vertrauen auf die Bildsprache. Die auch als Filmkritikerin und -theoretikerin bekannte Regisseurin wollte jenseits der plakativen literarischen Linearität des Mainstreams die bildnerischen Möglichkeiten des noch stummen Mediums erforschen. Mit visuellen Tricks - Überblendungen, Doppel- und Mehrfachbelichtungen, Zeitlupe, Verzerrungen - erzählte sie ihre Geschichte aus der Perspektive ihrer Protagonistin vor allem in Bildern. Wünsche, Träume, Sehnsüchte und ihr Scheitern an der gesellschaftlichen Realität sind auch das Thema von "Einladung zur Reise" (1927), ein durch ein Gedicht Baudelaires angeregter Film von außergewöhnlicher visueller Erlesenheit. Der glamouröse Schauplatz ist eine Bar gleichen Namens, deren exotische Wandmalereien in der Art von Max Beckmanns zeitgleichem Primitivismus mit Motiven einer Schiffsreise die Kulisse zum Träumen abgibt. Der betörende Art Deco-Schick wird interessanterweise weniger durch das Set Design vorgegeben als vielmehr durch Beleuchtung und Kameraarbeit erzeugt. Wieder ist die Hauptfigur eine vernachlässigte Ehefrau, die in der Bar nach Abwechslung sucht. Vorneweg erklärt die Dulac ihr Vorhaben: "Eine einfache Geschichte ohne Zwischentitel. Ich habe versucht, die Gedanken allein durch die Bilder wiederzugeben." Man kann sich in der Tat nicht satt sehen am Reichtum der symbolisch inszenierten Details einer Begegnung ohne Zukunft, zu deren genau beobachtetem Verlauf Erinnerungen und innere Erlebnisse parallel montiert sind. Überblendungen und Doppelbelichtungen übersetzen Gedanken und selbst Dialoge in suggestive Bildsequenzen. In "Die Muschel und der Kleriker" (1927) nach dem einzigen je realisierten Drehbuch von Antonin Artaud gibt die Dulac das in ihren früheren Filmen noch einfach zur Kenntnis genommene männliche Begehren schlussendlich der Lächerlichkeit preis. Mit subtiler Absurdität verbildlicht sie Artauds Script um die ödipale Getriebenheit der klerikalen Hauptfigur. Artaud wollte einen Film der reinen Bilder, die Erkundung der Analogie des Films zum Mechanismus des Traums. Die Kommunikation mit dem Publikum sollte nicht über Worte sondern rein über die regredierte Ebene der Bilder geschehen. Das kam Germaine Dulacs Suche nach einer "Musik des Auges" entgegen. Sie verzichtet für "Die Muschel und der Kleriker" auch auf das Pathos, das die "Einladung zur Reise" trotz visionärer Gestaltung heute manchmal etwas alt aussehen lässt, und greift zusammen mit ihrem Autor die Heuchelei von Kirche und Gesellschaft direkt an, wie bald darauf auch Salvador Dalí und Luis Buñuel. "Die Muschel und der Kleriker" ist als der "Anti"-Klassiker des surrealistischen Films wohl auch als Hauptwerk der Stummfilm-Pionierin zu betrachten. Nach der Einführung des Tonfilms verlegte Germaine Dulac ihr Arbeitsgebiet ins Dokumentarische: Sie wurde künstlerische Leiterin der Wochenschau-Produktionen von Gaumont. Germaine Dulac - Drei Filme der französischen Stummfilm-Pionierin Das Lächeln der Madame Beudet (La souriante Madame Beudet), F 1922, 38 min. Die Einladung zur Reise (L’Invitation au voyage), F 1927, 39 min Die Muschel und der Kleriker (La coquille et le clergyman), F 1927, 40 min arte edition bei absolut MEDIEN www.absolutmedien.de
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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