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documenta XII: Emphase total

Roger Martin Buergel selbst hat das Vergnügen, dem Hörer des Audionguides "einige kleine, wiewohl ausgesuchte Einblicke in die Ausstellung zu verschaffen." Leichthin, fast süffisant plaudert der künstlerische Leiter der documenta 12 über die Kunstwerke und wie er die zwischen ihnen bestehenden Zusammenhänge sieht. Kunstvermittlung ist in Kassel 2007 das A und O. Mit Lichtwark`scher Emphase geht Buergel an die Untersuchung seiner drei Grundfragen "Ist die Moderne unsere Antike?", "Was ist das bloße Leben?" und "Was tun?". Kunst muss erklärt werden, ist das erste, das hier zu lernen ist. Zugleich wird aber auch - ebenso emphatisch - das Geheimnisvolle der Kunst beschworen. 2007 die wichtigste Kunstausstellung der Welt zu kuratieren, ist eine ausgemachte Mission Impossible. Nicht nur, dass sich die Quantität der Global Players seit der ersten documenta 1955 exponentiell gesteigert hat und weiter steigern wird, lässt sich inzwischen anerkannterweise das aktuelle Geschehen von einem einzigen Standpunkt aus nicht mehr wirklich unter einen Hut bringen. Zu dieser Sichtweise hat nicht zuletzt die documenta selbst - nämlich die letzte Ausgabe unter der Leitung von Okwui Enwezor - einen wichtigen Beitrag geleistet. Das leitende Team, bestehend aus Buergel und seiner Kuratorin und Ehefrau Ruth Noack, begegnete diesem Umstand mit dem Versuch, via Initiierung einer dreibändigen documenta-Zeitschrift eine große Anzahl von kleineren, lokalen Medien aus vielen Teilen der Welt zur Mitarbeit und inhaltlichen Diskussion zu gewinnen und so an Wissen über andere als die üblichen Szenen, Themen und KünstlerInnen zu gelangen. Der von beiden dabei enthüllte Maßstab ist zwar diskursiv, aber weitaus unspektakulärer, als viele erwartet haben. Die documenta 12 ist eine sehr schöne Ausstellung geworden, in dem Sinn, dass vorwiegend sehr ästhetische Kunstwerke sehr ästhetisch präsentiert werden. Das macht sie aber auch recht langweilig. Politisch geht alles korrekt zu, man möchte gerne sagen: überkorrekt. Da fällt niemand ernsthaft aus dem Rahmen. Wie ironie- und humorfrei die Ausstellung - mit Ausnahme von Buergels Reden für den Audioguide - ist, fällt besonders vor den ganz wenigen Werken auf, in denen mit beidem gearbeitet wird: Lukas Duwenhöggers hintergründige Skulptur "The Celestial Teapott", eine elegante Riesenteekanne mit Armen als Henkel und Schnabel als Entwurf für ein niemals geradeaus als pc akzeptables Denkmal für die homosexuellen Opfer der Nazis, und die Fotos mit Kaugummiskulpturen (1971) von Alina Szapocznikow. Popkultur kommt vor, wenn sie formal moderat ist. Weder mit Lautem oder Schrillem noch mit "unaufgeräumten Jugendzimmern" muss man sich hier abgeben. Die schon documenta-Tradition gewordene Erweiterung des Kunstbegriffs findet nicht nur vor der Haustüre statt, wo auch diesmal wieder etwas gepflanzt wurde und der chinesische Konzeptkünstler Ai Weiwei 1001 seiner Landsleute herumlaufen lässt, sondern im spanischen Edelrestaurant des Starkochs Ferran Adrià. Kochen wäre somit die achte Kunst, denn auch die siebte ist vertreten: der Film. Beiden wird ein eigener Ort zugestanden. Gerade beim Film ist das ein konservativer Ort: das Kino. Das von Alexander Horwath, dem Direktor des Österreichischen Filmmuseums, kuratierte Programm im historischen Gloria-Kino fokussiert den kreativen Akt auf der Leinwand, ignoriert aber experimentelle Aufführungspraxen. Wenn irgendwo etwas die Sehgewohnheiten besonders herausfordert, dann haben wir es zumeist mit feministischer Kunst zu tun wie Hu Xiaoyuans mit ihren eigenen Haaren gestickte Darstellung weiblicher Geschlechtsteile oder Jo Spences Thematisierung ihrer Brustkrebserkrankung in der Wandinstallation "The Picture of Health". Abgesehen davon, dass - quasi in Anwendung der von Enwezor eingeforderten Erweiterung des Blicks auf die blinden Flecke des internationalen Kunstgeschehens - lokal, aber nicht global bekannte Künstlerinnen wie Charlotte Posenenske oder Nasreen Mohamedi erstmals große Bedeutung eingeräumt wird, scheint auf den ersten Blick unter den vielen neuen Namen keine wirklich sensationelle Entdeckung dabei zu sein. Hin und wieder stößt man auf - erfreulicherweise beabsichtigte - Nachbarschaften, die einander tatsächlich steigern: Eine von Zofia Kuliks Fotomontagen, mit denen diese documenta wahrhaftig gesegnet ist, bildet im Ausstellungsort Schloss Wilhelmshöhe, gemäß dem vielzitierten documenta 12-Motto von der "Migration der Form" eine formale Analogie zu dem berühmten Rembrandt-Porträt der Saskia van Uylenburgh im historisierenden Kostüm. Die Entscheidung, ältere Kunst, die es in Kassel ja in herausragender Qualität gibt, als Herleitung der aktuellen Situation heranzuziehen, war eine große Bereicherung. Schöne Gegenüberstellungen gibt es auch unter den Werken aktueller Kunst. Doch gerade gegenüber ihren besten Momenten setzt sich immer wieder diese didaktische Emphase durch, die so charakteristisch ist für das bildungsbürgerliche Kulturideal, von dem die documenta 12 so vollständig durchdrungen ist.
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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documenta XII
15.06 - 23.09.2007

Documenta
34117 Kassel, Friedrichsplatz 18
Tel: +49.561.70 72 70, Fax: +49.561.70 72 739
Email: info@documenta.de
http://www.documenta.de
Öffnungszeiten: täglich von 10.00 bis 20.00 Uhr


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2 Postings in diesem Forum
AUSSTELUNNG DOCUMENT 12
CHEN XI | 16.06.2007 12:00 | antworten
WIR DRÄNGER UNS IN DER DUNKEL ARENA WÄRTEN DAS LETZTE DIE SONNE DES GLÜCKS ALLES IST SO STILLE NUR DAS SEELE ATEMEN UNTER DER BÜHNE
kurator in
- | 19.06.2007 11:28 | antworten
kurat: katholischer geistlicher mit eigenem seelsorgebezirk kurator: 1. verwalter einer stiftung 2. staatsbeamter in universitätsverwaltung kuratorium: aufsichtsbehörde aus: der kleine duden, s. 235

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