Iris Meder †,
Blutwurst mit Schoko-Eclair
Seit einigen Jahren ist es nun so weit. Die denkmalpflegerischen Maßnahmen der achtziger Jahre müssen ernsthaft revidiert werden, sei es im ehemaligen "Osten" (Haus Tugendhat) oder im "Westen" (Wiener Werkbundsiedlung). Auch die damals spektakuläre Restaurierung der Stuttgarter Werkbundsiedlung ist in die Jahre gekommen. Der Auszug der Mieter aus dem Doppelhaus von Le Corbusier bot hier die Gelegenheit, endlich eines der Häuser öffentlich zugänglich zu machen. Im größeren Hausteil wurde ein Dokumentationszentrum zur Siedlung eingerichtet.
Die ehemalige Raumaufteilung wurde mittels Fußbodenmarkierungen und tansparenter Wände nachgezeichnet, die die Exponate zur Siedlung und ihrem geistigen Umfeld aufnehmen. Darunter Privatfotos von Hausbewohnerinnen im Dirndl, Kataloge und Briefmarken zur Siedlung, ein Modell von Mies van der Rohes "Spiegelglashalle", aber auch Absurditäten wie eine Zeitschiene, auf der Mondlandung, Mauerfall und Euro-Einführung verzeichnet sind. Aha. Für detailliertere Betrachtungen stehen im räumlich doch sehr beschränkten Haus aus Sockeln herausziehbare Schubladen zur Verfügung.
Die andere Haushälfte wurde zum, so ein vielstrapazierter Begriff des Museums, "begehbaren Exponat". Das ist der Punkt: Ehemals als Wohnhäuser genutzte Bauten werden archäologisch analysiert, originale Putz- oder Holzfurnierteile behandelt wie "eine Plastik von Michelangelo" (wie vor einiger Zeit auf einer Tagung zum Haus Tugendhat allen Ernstes zu hören war), Material- und Proportionswirkungen, von denen die Moderne ganz essentiell lebt, akribisch wieder hergestellt.
In Stuttgart hat man dafür einen guten Mittelweg gefunden. Das zunächst nicht zu vermietende Haus, dessen sich als erster Bewohner schließlich der an der Stuttgarter Kunstakademie lehrende Anton Kolig annahm und das schon in den dreißiger Jahren nach Koligs Auszug tiefgreifend umgebaut wurde, um es überhaupt anzubringen, wurde unter der Leitung der renommierten Wüstenrot Stiftung analysiert und in der kleineren "Hälfte" behutsam rekonstruiert. Schiebewände können dort bewegt, Küchenschränke auch mal aufgemacht werden, ohne dass Alarmanlagen schrillen. Le Corbusiers Wohnkonzept kann erwandert, die schwarz gefliesten Raumkompartimente, der legendäre 60 cm schmale Gang am eigenen Leib ausprobiert werden, auch das von Kurt Schwitters mit "Blutwurst mit Graphit" beschriebene recht dunkle Farbkonzept - die Palette wäre nach Inaugenscheinnahme mit "Schoko-Eclair und Pfirsicheis" zu ergänzen. Wozu man aus einer anwesenden Gruppe schwäbischer Hausfrauen vernehmen konnte: "I würds weiß streiche! Alles weiß!" Na sowas!
Weißenhofmuseum im Haus Le Corbusier
Museum und Informationszentrum
Rathenaustraße 1-3, 70191 Stuttgart
Tel./Fax 0049-711-257 91 87
info@weissenhofmuseum.de
www.weissenhofmuseum.de
Di-So 11-18 h, Do 11-20 h
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