
Jens Kastner,
Shooting Back: Identität als Waffe
Karl Marx prophezeie aus dem Dampf, wie die "alten Weiber" aus dem Kaffeesatz: Dieser Spott des Anarchisten Gustav Landauer richtete sich gegen das Marx´sche Geschichtsmodell. Als hätten sie Landauer gelesen, lassen Annetta Mona Chisa und Lucia Tkácová in ihrem Video "Capital: Magical Recipes for Love, Happiness and Health" (2006) eine Wahrsagerin aus Marxens "Kapital" die Zukunft vorhersagen. Auf die Frage einer jungen Frau, ob sie aus Bratislava wegziehen soll, wird mit einem Zitat über die Zirkulationssphäre geantwortet.
Die brennenden Fragen des Alltags: Weder die großen Entwürfe der Moderne noch die mutmaßliche Rückkehr zu ebenso vermeintlichen Traditionen sind im Stande, sie zu beantworten. Mit dieser Quintessenz üben sich die aus Rumänien bzw. der Slowakei stammenden Videomacherinnen nicht nur in Universalismuskritik. Sie sind mit ihrer Skepsis hinsichtlich alter Sitten und deren Ausstrahlung in Richtung Zukunft sogar dem Ausstellungsmotto voraus.
"Shooting Back" setzt nämlich auf Identitätspolitik. Den "passiven Abbildungen und Festschreibungen" soll dabei "eine parallele Geschichtsschreibung" entgegengesetzt werden, heißt es im Ankündigungstext. Woher die neue Relevanz dessen kommen soll, was in den Cultural Studies seit mehr als dreißig Jahren diskutiert und was im Kunstfeld mittlerweile nicht mehr gern gesehen wird - "Identitätspolitik ist eine Katastrophe" (Roger M. Buergel) -, bleibt allerdings offen.
Schöne Beispiele dafür gibt es dennoch: Tanya Hamilton zeigt in einer Rauminstallation Ausschnitte und Devotionalien der "Mobile Cinema Units" auf Jamaika. Mobile Filmgruppen, die mit Szenen aus dem Alltag die koloniale Propaganda bebildern sollten und unfreiwillig doch Bilder einer antikolonialen Gegengeschichte produziert haben. Und Kristina Leko dokumentiert mit den traditionellen Milch- und Käseverkäuferinnen in Kroatien eine zukünftige Vergangenheit. Auch in anderen der insgesamt achtzehn, meist filmischen Positionen findet statt, was der postkoloniale Theoretiker Homi Bhabha als hybride Strategien beschrieben hat: "den Blick des Diskriminierten zurück auf das Auge der Macht richten."
Was weder den Kaffeeresten noch dem Antrieb der Maschinen zu entnehmen ist, ermöglicht allerdings auch die Identität nicht: In die Zukunft zu sehen. Als Waffe, mit der sich Marginalisierte im Kampf gegen die große Erzählung in die Geschichte eintragen, kann sie jedoch allemal fungieren.
Shooting Back
06.06 - 28.10.2007
Thyssen-Bornemisza Art Contemporary (alte Location)
1010 Wien, Himmelpfortgasse 13/9
Tel: + 43 1 513 98 56, Fax: + 43 1 513 98 56 22
Email: office@tba21.org
http://www.tba21.org
Öffnungszeiten: Di-So 12-18 h
06.06 - 28.10.2007
Thyssen-Bornemisza Art Contemporary (alte Location)
1010 Wien, Himmelpfortgasse 13/9
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