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Reiseführer und Aussichtspunkte

Die Filmtitel der Diagonale 2007 hatten des öfteren etwas Geografisches: "Immer nie am Meer", "Auf bösem Boden", "Heile Welt", "Einst süße Heimat" oder schlicht: "Home". Die Krönung, auch, weil eine Paraphrase auf einen populären englischen Science Fiction-Roman, war in solcher Tradition der Titel von Sophie Fiennes` dichter Slavoj Zizek-über-Film-Dokumentation "The Pervert`s Guide to Cinema". Das Kino als Galaxis, erforscht durch den Sehschlitz eines trampenden Betrachters: Das war gut. Was konnte man sich aber sonst noch gönnen? Nicht allzuviel, muss die ehrliche Antwort lauten. Schon der Eröffnungsfilm, Sabine Derflingers "42plus", machte nicht gerade Laune. Die Geschichte um eine Frau, die im italienischen Ferienhaus mit Mann und pubertierender Tochter ihren 42. Geburtstag notgedrungen feiert, aber nicht verkraftet, krankte massiv daran, dass der Lebensentwurf der Protagonistin trotz zeitgemäßer Elemente im Grunde vielmehr das Gegenteil von progressiv war. Die thematisierte Midlife Crisis ist als Konzept schon wieder zu antiquiert, als dass frau sich über diese Gleichbehandlung hätte freuen können. Ein Problem war die Absenz der großen Namen (Albert, Geyrhalter, Haneke, Seidl), für die die Diagonale allerdings nichts kann. Wirklich vorwerfen lässt sich aber, dass das Programm, genau wie dessen schlichte Aufzählung durch die Intendanz anlässlich der Pressekonferenz, keine inhaltlichen Auswahlkriterien erkennen ließ. Viel Passables und auch Gutes ging in der Beliebigkeit "verloren". Inhalte standen aber auch in den täglichen Begleitveranstaltungen nicht zur Debatte: Darin ging es um die Filmverwertung. Richtig gut besucht waren aber nur die Diskussionen "ORF neu" und "Kulturpolitik neu", beide mit dem Nachsatz "Was wir uns wünschen", der im Lauf der Woche abgeändert wurde auf "Was wir fordern" (Zusammenfassungen der Diskussionen auf dia-log.at). Alles in allem war man um konstruktive Gespräche bemüht, besonders im Umgang mit der Ministerin Claudia Schmied, die von einer notwendigen Erhöhung des Filmbudgets sprach und sich damit bei den Filmschaffenden vorsichtig bekundete Sympathien erwarb. Das war schon alles ganz nett, aber zumindest ein wenig inhaltlicher Diskurs über den Stand des österreichischen Films wurde schmerzlich vermisst. Und wenn es dazu schon keine konkreten Ideen gab, dann hätte man immerhin über Themen reden können, die kontrovers aufgefasste Filme wie das KZ-Drama "Die Fälscher" oder die exzellente Dokumentation "Einst süße Heimat - Begegnungen in Transsylvanien" mit einer differenzierten Annäherung an Sudetendeutsche in Rumänien selbst aufwarfen. Man hätte auch die Ausritte in hierzulande noch kaum oder nicht produzierte Genres thematisieren können, die mit den Spielfilme "Ainoa" (Science Fiction), "Auf bösem Boden" (Splatter-) und "In 3 Tagen bist du tot" (Slasher-Movie) unternommen wurden. Die Hauptpreise der Diagonale wurden übrigens recht gut vergeben: Der Erstlingsfilm "Heile Welt" des jungen Grazers Jakob M. Erwa überraschte mit einer ans Arthouse Kino angelehnten Erzählweise in Episoden, die um ein zentrales Ereignis kreisen und realistische, wenn auch vielleicht etwas übertrieben ins Negative abdriftende Geschichten um eine Clique Jugendlicher und deren Mütter zeigen. Peter Schreiners Dokumentarfilm "Bellavista" war ohnehin bereits der unter Kritikern kolportierte große Tipp des Festivals gewesen. In Schwarzweiß und wuchtiger Ruhe entwickelt er beachtlichen Suspense. Giuliana ist aus der Fremde in ihr norditalienisches Heimatdorf zurückgekehrt und hat das Hotel ihrer Familie übernommen. In ihre persönliche Erinnerung an ihre Kindheit, die Brüder, ihre Hybris, mischen sich die Erinnerungen älterer Leute an früher und die Trauer um den Verlust von u.a. ihrer Sprache, das Plodarische, das mit dem Niedergang der alten bäuerlichen Kultur zusammen verschwindet. Die Bilder und lapidare Sätze umkreisen ein Geheimnis, dessen Enthüllung man nicht nur von dem erwarten darf, was man vor sich sieht. "Bellavista" hat sich zwar (in Sappada) verortet, doch ist es auch ein Aussichtspunkt nach innen. www.diagonale.at
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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