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Biedermeier im Haus Liechtenstein: Große Häuser

Wie soll man sich die Epoche zwischen dem Wiener Kongress und der Revolution von 1848 bloß denken? Es herrschte Zensur, die ersten Eisenbahnen fuhren, Fotographie, Kommunismus und organisierter Tourismus wurden erfunden, die Zigarette kam in Mode und gleichzeitig mit dem resignativen Rückzug ins Private verbreitete sich in Übersee die Vorstellung, geliebte Verstorbene würde man im Jenseits wiedertreffen. Der beschleunigende Schienenstrang zur Moderne muss noch wie ein Abenteuer erschienen sein, aber vielleicht als eines mit Zinsen und beschränkter Haftung. Von der Wiener Moderne um 1900 erstmals wieder entdeckt, geht das Phantasma Biedermeier seit den sechziger Jahren alle paar Jahre aufs Neue um. Tendenz: steigend. Gerade derzeit sind in Wien gleich zwei große Ausstellungen zum Thema zu sehen. Im Gegensatz zur kulturhistorisch noch immer maßgeblichsten Biedermeierausstellung "Bürgersinn und Aufbegehren" des Historischen Museums von 1987, die das Biedermeier aus vielen Blickwinkeln in seine Komponenten aufdröselte, zeigen die Albertina und das Liechtenstein Museum die Epoche hauptsächlich aus der Sicht des Adels. In der Albertina wird eine Armada von hochherrschaftlichem Gerät aufgefahren: Sessel, Sofas, Schränke, Tische, Gläser, Pokale, Teller etc. Immer wieder singen die Wandtexte das Hohelied der Einfachheit des Biedermeierstils. Warum gerade die Albertina, eines der weltberühmtesten Museen für Graphik, nach einer Serie von Malerei-Ausstellungen nun Möbel und Geschirr zeigt, ist mit dem Hinweis auf die Ausstattungsgeschichte des Palais Albertina nur unzureichend begründet: Das sind doch alles Leihgaben, die zwar optisch viel hermachen, aber nicht zur ursprünglichen Möblierung gehörten. Trotz der herausragenden Qualität der Objekte bleibt das Visuelle letztlich auf der Strecke: Die überall zur Illustration der Einfachheit heran gezogenen Bilder hängen etwas zu nebenbei, um eine Vorstellung vom Reichtum der bildenden Kunst des Biedermeiers zu vermitteln. Diesen haben die Kuratoren ihrer Einfachheits-These zuliebe sozusagen unter den kunstvoll furnierten Tisch fallen lassen. Das Liechtenstein Museum dagegen schwelgt im Reichtum der Wiener Biedermeiermalerei. Wie im hochherrschaftlichen Rahmen der Zeit üblich, hängen die Bilder dicht und teilweise zu mehreren übereinander. Hier haben wir es mit einer Sammlung zu tun, einer sehr hochwertigen noch dazu, die tatsächlich aus der Zeit stammt: Zu sehen sind zahlreiche Auftragswerke, Gemälde, Aquarelle, Möbel und Porzellane aus eigenen Beständen, die ab 1815 die Schlösser der Liechtensteiner schmückten. Darf auch hier, ebenso wenig wie in Schröders Albertina, kein politisches Statement erwartet werden, so wirkt die Darbietung der Biedermeierkunst in einem ihrer historischen Milieus doch viel geschlossener und überzeugender. Es ist nichts dagegen zu sagen, dass das Biedermeier in beiden Ausstellungen als ästhetisches Phänomen behandelt wird. Doch je größer die Ausstellung ist, desto mehr sollte sie auch die gesamte ästhetische Bandbreite abdecken und nicht nur einen Ausschnitt daraus zum Paradigma erklären.
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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Biedermeier im Haus Liechtenstein
30.03 - 20.08.2007

Liechtenstein Museum (geschlossen)
1090 Wien, Fürstengasse 1
Tel: +43 / 1 / 319 57 67 - 252, Fax: +43 / 1 / 319 57 67 - 255
Email: info@liechtensteinmuseum.at
http://www.liechtensteinmuseum.at
Öffnungszeiten: Freitag bis Dienstag 10.00–17.00 Uhr, Mittwoch und Donnerstag geschlossen


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