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gelitin: Vitrine mit Wackelpudding

In der Galerie Meyer Kainer gehen seltsame Dinge vor: Nicht nur, dass der Schauraum nach längerer Schließzeit als veritabler White Cube mit schickem Foyer wiedereröffnet hat, beherbergt er, o Fantasma, auch noch ausgerechnet neue Arbeiten der Künstler-Boy Group gelitin. Das Aktionistisch-Anarchische, skatologisch weit hinter bürgerliche Schamgrenzen Zielende der selbstdeklarierten "Fartists" scheint in die cleanen neuen Räumlichkeiten zu passen wie ein brauner Streifen in saubere weiße Unterwäsche. Dennoch behauptet sich das Ausgestellte in der nunmehr auf Klassische Moderne gestreamten Umgebung.

Woran das liegt? Gelitin macht jetzt auf Maler-Compagnie. Da hängen sie, eines neben dem anderen, die neuen Bilder, und fordern die Frage heraus, ob hinter dem Wechsel vom einem glibberigen Nahrungsmittel entlehnten Namen gelatin auf das trendiger klingende gelitin nicht mehr steckte, als der kolportierte Druckfehler auf einer Einladungskarte, nach dem die enfants terribles Wolfgang Gantner, Ali Janka, Florian Reither und Tobias Urban ihr Kollektiv angeblich ohne viel Federlesens einfach umgetauft haben.

Von gelatin wusste man wenigstens, dass ihre kreativen Materialschlachten entweder orgiastisch, ironisch-obszön oder schlicht ekelig werden konnten, alles im Dienste der Erweiterung der Erfahrung unserer selbst, versteht sich. Doch was genau bezweckt eigentlich gelitin? Nicht, dass die Vier nach ihrer Umbenennung 2005 aufgehört hätten, das provokative Lustprinzip der artistes maudits von heute heraushängen zu lassen. Gerade jetzt ist in der Züricher Galerie Nicola von Senger die gelitin-Fotoserie "Das Kackabet" ausgestellt. Die Fotos, auf denen die Bausteine der westlichen Schrift in dem Material nachgebildet sind, das der Titel andeutet, lassen sich ohne Weiteres als Teil des Projekts zur schlitternden Dekonstruktion anerzogener Wertvorstellungen, also als die typische brachiale Form gelatinscher Aufklärung identifizieren.

Trotzdem sind da diese Bilder. Zwar wurden die großen Tafeln nicht bemalt. Es sind Reliefs aus collagiertem Plastillin, die stark an die Bilder des Erfinders des Terminus art brut erinnern: Jean Dubuffet, der selbst mit Collagen aus (ziemlich) unedlen Materialien experimentierte. Die bunten Tierchen, die üblicherweise eingeweckt, gestrickt oder sonst wie selbstgebastelt das Plaisierchen der vier Herren sind, ergeben mit anderen, humanoid bis amöbenhaft aussehenden Gestalten ein sehr lustiges, gelatin-buntes Chaos.

Manche dieser Gemälde firmieren unter dem Serientitel "Guernica" und knüpfen damit in ungeklärtem Grad an eine bisher von gelitin nicht einmal gestreifte Kunsttradition an. Wechselt gelitin von der bissigen Bürgerschreckfraktion nun zum edlen politisch engagierten Lager? Unklar bleibt auch, wie die Anspielung auf die Moderne Pablo Picassos im Kontext des White Cube gemeint ist. "We like to make clean things dirty more than dirty things clean", plauderten die Vier 2003 im artforum aus der Mülltonne. Sollen Galeristen ihr Bedürfnis nach Klassizität ruhig ausleben. Von Künstlern des Formats der gelitin erwarten wir aber, dass sie so originell bleiben, wie sie waren.

Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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gelitin
16.02 - 30.04.2007

Galerie Meyer Kainer
1010 Wien, Eschenbachgasse 9
Tel: +43 1 585 72 77, Fax: + 43 1 585727788
Email: contact@meyerkainer.com
http://www.meyerkainer.com
Öffnungszeiten: Di-Fr 11-18, Sa 11-15h


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