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Hermann Nitsch - Orgien Mysterien Theater. Retrospektive: Unendlich erlöst

Jüngst lehrte uns jemand das Fürchten: "Wenn mir morgen ein Kunstarsch sagt, dass Nitsch nicht im Museum funktioniert, dann reiß ich ihm seinen Dreitagebart aus dem Gesicht!" So sprach es also - gegen den Chor der Kritiker, die das große Berliner Nitsch-Fest mit ihrer unheiligen Skepsis zu profanieren drohten - aus Christoph Schlingensief, dem um gleichermaßen starke wie wirre Worte selten verlegenen Theatermacher, der jedoch schon seit längerem mit eisernem Willen - und stählerner Protektion - selbst den Wechsel ins Rollenfach des, tja, Kunstarschs betreibt. Aber im Gegensatz zum Meister, der immerhin durch seine hieratische Erscheinung und seine missionarische Energie durchaus Ehrfurcht zu gebieten weiß, verdient der (g)eifernde Sukkurs seines gerade in Dingen der Provokation (wirkungs-) wie auch des Performativen (produktionsästhetisch) ziemlich gelehrigen Adepten bloß unseren unerschrockenen Protest: "Hier stehen wir und können nicht anders: Aber der Nitsch funktioniert im Museum echt nicht!" Was alleine schon daraus erhellt, dass das Museum in seiner Funktion als Mausoleum - als von allen lebensweltlichen Bezügen abgeschnittene Totenkammer der Kunst, die von den Avantgarden eigentlich immer vorwiegend zur Schleifung vorgesehen war - wohl nicht als das rechte Gefäß erscheinen kann, um ein Oeuvre aufzunehmen, das sich einzig der ekstatischen Feier des Daseins geweiht hat. Und so fügt es sich also, dass bei dieser ersten deutschen Nitsch-Retrospektive mit ihrer unabdingbaren Konzentration auf den malerischen Teil des Gesamtkunstwerks des "Orgien Mysterien Theaters" der - notabene choreographierte - dionysische Rausch der roten Messe gegen die apollinische Strenge der musealen Zurichtung eingetauscht wird; keinesfalls ein vorteilhafter Handel, wie sich bald erweist, denn die Folge davon ist eine ungeheure Sterilität, die sich sowohl in der peniblen Aufgeräumtheit der Altarinstallationen äußert (der rekonstruierte "Asolo"-Raum von 1973) als auch in der schier unendlichen Reihe - hier wendet sich die dem Ritus inhärente Repetition gegen sich selbst und führt zu einer raschen Übersättigung - an allmählich nur schwer unterscheidbaren Schüttbildern, vor denen oft genug und wie zum Beweise ihrer neugewonnenen Harmlosigkeit noch dazu stapelweise Papiertaschentücher drapiert wurden (und die vor allem denen dienen können, denen es angesichts der auch verschiedentlich aufgestellten und doch völlig entbehrlichen Blumenkübeln tatsächlich die Tränen in die Augen treibt). Diese einmalige und bloß von der raumweisen Dokumentation der meisterhaften Karriere (die musikalischen Kompositionen; die Aktions-Videos; ein von Nitsch eigens "komponiertes" Geruchslabor mit auf windschiefen Ikea-Stellagen deponierten Phiolen sowie den unentbehrlichen Kaseln, um der Hexenküche ja den rechten religiösen Anstrich zu verleihen) unterbrochene Dichte an Bildern bringt aber auch zutage, dass Nitsch fraglos kein herausragender Maler ist bzw. sein malerisches Werk seit seinen von Pollocks Action-Painting oder Kleins weiblichem Körper-Einsatz inspirierten Anfängen kaum eine bemerkenswerte Entwicklung erfahren hat; wobei zweiteres natürlich ersteres mitbedingt und beides seine Ursache in der doch - wie in dem ausgestellten Blutorgel-Manifest nachzulesen - ziemlich unausgegorenen synkretistischen Kunstreligion hat. Wirklich auffallend ist indes, dass mit der schrumpfenden Schöpferkraft die Formate sich neuerdings ins Riesenhafte steigern und zudem - nicht auszudenken - knallbunt daherkommen. Aber die Erlösung findet sich auch hier nicht.

Mehr Texte von Peter Kunitzky

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Hermann Nitsch - Orgien Mysterien Theater. Retrospektive
30.11.2006 - 22.01.2007

Gropius Bau
10963 Berlin, Niederkirchnerstr. 7
Tel: +49 30 25486-0, Fax: +49 30 25486-107
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