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Lee Friedlander: Land und Leute

Über Garry Winogrand, Diane Arbus und Lee Friedlander schrieb der langjährige Leiter des Foto-Departments im MoMA, John Szarkowski, 1967 anlässlich einer von ihm ausgerichteten Ausstellung: "Ihr Ziel war nie, das Leben umzugestalten, sondern, es zu kennen." Die nahezu 500 Fotografien umfassende Friedlander-Schau im Jeu de Paume, die vom MoMA organisiert und dort im Vorjahr gezeigt wurde, atmet den Geist dokumentarischer Neugier. Manche von Friedlanders Fotografien sind, wie dies so häufig bei Fotografen der Fall ist, schon beinahe berühmter als sein Name. Diese Ikonisierung einzelner Arbeiten jedoch läuft dessen Arbeitsweise zuwider: Es scheint Friedlander, wie jedem Dokumentaristen, nie um das einzelne Bild gegangen zu sein, sondern eher um Konvolute und Serien. Dies zeigt sich auch daran, dass er bereits als junger Fotograf mit Vorliebe seine Arbeiten in Büchern publizierte. Die "american social landscape", so drückte er es selbst einmal aus, war seit jeher sein Hauptforschungsgebiet - das scheint er mit vielen seiner amerikanischen Kollegen gemeinsam zu haben. In den 60er-Jahren fotografierte er für Magazine - und ging seit jeher über das rein Dokumentarische, Nüchterne hinaus: Schon früh etwa fand er Bild-im-Bild-Kompositionen - beinahe surreal anmutende Fotografien von bürgerlichen Interieurs, auf denen sich etwa ein riesiges Auge im Fernseher auf derselben Realitätsebene findet wie die Stehlampe, leiten diese faszinierenden Arbeiten ein, die sich zu komplexen, verwirrenden Patchworks steigern. Später vermisst Friedlander die "social landscape" etwa mit einer Serie über Denkmäler, Porträts von Call-Center-Agents oder Fabrikarbeitern, immer wieder auch mit Stadtansichten und Landschaften, in denen ein Rückspiegel auch mal eine zweite Bildebene hereinholt. Und: Friedlander, als dessen Vorbilder stets Eugène Atget und Robert Frank genannt werden, ist ebenso ein Meister des "Moment décisif", wie ihn Cartier-Bresson formuliert hat - häufig ein Meister allerdings des vermeintlich Fehlerhaften: Da werden etwa Passanten gerade so fotografiert, dass ihr Kopf von einem Schild verdeckt wird, oder der eigene Schatten fällt genau auf Kopf und Rücken einer Frau. Und dass sich die besten Bilder bisweilen von selbst finden, das beweist die herrliche Schaufenster-Kombination, die Friedlander 1970 aufgenommen hat: Rund um den amerikanischen Präsidenten und seinen Vize gruppieren sich Pin-Ups - als wären die beiden "Coachs einer Football-Mannschaft", wie Kurator Peter Galassi im dicken Katalog schreibt. Friedlander kennt eben sein Land.
Mehr Texte von Nina Schedlmayer

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Lee Friedlander
19.09 - 31.12.2006

Jeu de Paume
75008 Paris, 1, Place de la Concorde
Tel: 01 47 03 12 50
http://www.jeudepaume.org


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