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Schöne Träume

Dass das im Kino Sitzen und einen Film Betrachten dem Träumen zu vergleichen ist, macht schon lange Zeit die Runde: Es ist dunkel und die Filmbilder sind nur Projektionen der Wirklichkeit, nicht greifbar, nicht festzuhalten. Jean Cocteau hat die Analogie der beiden auf den Punkt gebracht: "Es ist der Vorzug des Filmtheaters, dass es sehr vielen Menschen ermöglicht gemeinsam den selben Traum zu träumen", ließ er sein Publikum im Vorspann seines letzten Films "Das Testament des Orpheus" (1960) wissen. Jahr für Jahr macht sich die Viennale für knapp zwei Wochen am Repertoire des vorführbaren Stoffs für`s Träumen im Kollektiv zu schaffen. Dieses Jahr ist das große Werk besonders gut geglückt. Nicht alle Träume waren so schön, wie die drei französischen Kurzfilme des Programms "Des beaux rêves" - einer davon das neueste Werk von Eugene Green, der sich auf der Viennale 2004 mit seinem poetischen Langfilm "Le Pont des Art" eine treue Fangemeinde erwarb -, doch auch in Albträumen lässt es sich wohlig schwelgen. Nur manchmal hilft selbst das Erwachen nicht. Das war der Fall. "Hamburger Lektionen" hieß der Dokumentarfilm von Romuald Karmakar. Der Schauspieler Manfred Zapatka liest darin die genaue Übersetzung der Aufzeichnungen von zwei im Jänner 2000 gehaltenen Vorträgen des Imams Mohammed Fazazi der Al-Quds-Moschee in Hamburg, die drei der Selbstmordattentäter der Anschläge vom 11. September 2001 regelmäßig besucht hatten. Wie sich im Verlauf dieser rhetorisch sehr geschickt aufgebauten und von Zapatka schlicht wiedergegebenen Reden tatsächlich nicht nur die Erlaubnis, sondern geradezu der Auftrag zum Töten der "Ungläubigen" abzeichnet, hinterlässt ein anhaltend unbehagliches Gefühl. Ähnlich frösteln machte Andres Veiels gefilmtes Theaterstück "Der Kick". Auf einer wahren Begebenheit, der brutalen Ermordung eines Jugendlichen durch drei mit ihm befreundete Neonazis, basierend, lassen Stück und Film die Täter, ihre Familienmitglieder und die Mutter des Opfers zu Wort kommen. Nur zwei Schauspieler übernehmen darin alle Rollen. Der - auf zahlreiche Interviews gestützte - Einblick, den dieser Film in die sozialen und familiären Verhältnisse von Opfer und Tätern gibt, raubte dem Zuseher manchmal den Atem ob seiner Dichte und Intensität. Harmloser waren die Gespenster der vier Folgen der US-kanadischen Fernsehserie "Masters of Horror". In John Carpenters "Cigarette Burns" begibt sich ein junger Kinobesitzer im Auftrag eines reichen Exzentrikers auf die Suche nach einem verschollenen Film, dessen Premiere seinerzeit in einem blutigen Massaker unter den Zusehern endete: Der Film mit dem programmatischen Titel "La fin absolue du monde" löste die Gewalttaten aus. Mit abgründigem Humor hält Carpenter seine selbstreferentielle Lektion über die deklarierte Nachtseite des Kinos bis zum Ende der surrealen Horrorgeschichte in der Waage. Nicht schlecht ist auch die Figur des Filmkritikers, der seit dreißig Jahren manisch dieselbe Kritik umschreibt. Wer Träume lieber als Abenteuer im Kopf versteht, war auf dieser Viennale mit einer Reihe von anderen Werken gut versorgt. Valeska Grisebachs "Sehnsucht" zählt dazu. Es ist die Geschichte eines Mannes aus einem Dorf nahe Berlin, der glücklich verheiratet ist und dennoch fremdgeht. Sie wird zur Tragödie, hat aber einen Epilog, in dem ein Happy End verkündet wird. Mit einfachen Mitteln - Laiendarstellern, unspektakulären Bildern und einer linearen Erzählstruktur - gelingt Grisebach ein höchst kunstvoller Film, in dem die Bilder vor uns ständig abgeglichen werden mit den aus den Medien bekannten kulturellen Bildern in unseren Köpfen. Dieses Spiel der Anspielung, das Benutzen einfacher Bilder als Indizes für große Ideen, findet sich auch in Albert Serras elegischer Cervantes-Paraphrase "Honor de Cavalleria". Don Quixote und Sancho Pansa reiten und wandern darin durch eine fast menschenleere Landschaft ohne Windmühlen. Wenig wird geredet, noch weniger passiert, fast zeitlos ziehen die 103 Minuten am Zuseher vorüber, einer arkadischen Reflexion der Essenz des berühmten Romans gleich. Man weiß ohnehin, was darin geschieht. Als Meister des Spiels mit gläsernen Perlen waren die kürzlich verstorbene Danièle Huillet und ihr Partner Jean-Marie Straub unerlässlich. In ihrem letzten gemeinsamen Film "Quei loro incontri", basierend auf Teilen der 1947 erschienenen "Dialoghi con Leucò" von Cesare Pavese, lassen sie die Gespräche der Götter über die Sterblichen von modern gekleideten Darstellern rezitieren. Auch hier existiert zwischen der zeitgenössischen Bildwelt und dem altmodischen Text eine dritte Ebene, die sich parallel zu den anderen beiden im Kopf des Zusehers entrollt. Träumen im Wachzustand könnte man es nennen. Mit dieser Viennale möchte man weiter träumen.
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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