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Aufgeklärt Bürgerlich: Ein Sich-Begnügen mit dem, was da ist

"Bürger" heisst auf englisch "citizen". "Bürgerlich" übersetzt sich entsprechend mit "civil", man kann auch "common" sagen, wenn man es ganz konstitutionell meint. Die neue Ausstellung des Oberen Belvedere dagegen setzt auf ein sehr besetztes "bourgeois", doch auf ihre Art hat sie vollkommen Recht. Auch wenn es sich in der Schau um Porträts aus den Jahren von etwa 1750 bis 1840 handelt, geht das Gespenst bereits um in Europa, das Gespenst des Kapitalismus. Hat man das einmal geklärt, dann lässt sich zeigen, dass es nichts anderes war als das Phantom der Freiheit. "Aufgeklärt bürgerlich - enlightened bourgeois" heisst es also ganz verwegen - T.J. Clarks Schlüsselwerk über das Frankreich nach 1848, betitelt "The absolute bourgeois", wird sich dabei ins Spiel gebracht haben. Gezeigt wird, wie aus den Haupt- und Staatsaktionen aristokratischen Sich-in-dieBrust-Werfens eine Dezidiertheit der Darstellung wird, die das Hässliche sucht, weil es die Abwesendheit von Retusche und damit von Verfälschung bedeutet. Hegel wird in seiner um 1830 zusammengestellten "Ästhetik" von einem "Sich-Begnügen, mit dem was da ist" reden. Die rotnasigen, alkoholschorfigen, dickbauchigen, lebenssatten Gestalten Waldmüllers oder Amerlings stehen am Ende der Chronologie. Physiognomie meint dann in der Tat alles, was da ist. Bis dahin ist es ein zeitlich nicht allzu langer Weg. Die Revolution und die Industrialisierung und vor allem der Autonomiegedanke machen sich breit, und so ist es vor allem die Bourgeoisie der Künstler, die der Schonungslosigkeit Bahn bricht. Selbstporträts sind entsprechend ein bedeutender Katalysator. In der Eckrotunde des Belvedere sind sie aufs Vortrefflichste ausgebreitet, zwei Charakterköpfe von Messerschmidt, zusammen mit Bildnissen von David, Vigee-Lebrun, Zoffany und einer wunderbaren Selbstdarstellung als Spötter von Joseph Ducreux aus dem Epochenjahr 1793. Zu entdecken, enträtseln, entblößen gibt es viel, das Porträt ist das ureigene Medium dafür. Eine Wand zeigt nebeneinander drei Politiker, gemalt von Josef Kreutzinger, von Goya und, als Leihgabe eines offenbar sehr vornehmen Besitzers namens Bundeskanzleramt, das Metternich-Stück von Thomas Lawrence. Die Schonungslosigkeit hat ihre Repräsentanten eingeholt. "Stark fühlt sich, wer die Bilder findet, die seine Erfahrung braucht", heisst es bei Canetti. Das hat sich, kurz nach 1800, erfüllt.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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Aufgeklärt Bürgerlich
25.10.2006 - 18.02.2007

Belvedere
1030 Wien, Prinz-Eugen-Strasse 27
Tel: +43 1 795 57-0, Fax: +43 1 795 57-121
Email: info@belvedere.at
http://www.belvedere.at
Öffnungszeiten: Täglich 10 bis 18 Uhr


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