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Das Auge und das Ohr

Der Mann mit der Kamera – für alle Zeiten wird das Dziga Vertov sein. Sein gleichnamiger Film von 1929, Vertovs letzter Stummfilm und sein Vermächtnis als „Kino-Auge“, ist eben in der arte Edition auf DVD erschienen. Zusammen mit der schon seit Ende letzten Jahres in Umlauf befindlichen Doppel-DVD mit Vertovs erstem Tonfilm „Entuziazm (Simfonija Donbassa)“ (1930) der Edition filmmuseum bietet die Neuerscheinung die interessante Möglichkeit, die Konzepte des wegweisenden russischen Filmpioniers und –theoretikers zu Kameraführung, Schnitt und dem Verhältnis zwischen Bild und Ton zu studieren. Recht unterschiedliches, einander ergänzendes Bonusmaterial machen beide Publikationen zu einer ziemlich runden Sache. Vertovs experimentelles Arbeiten mit Film und auch seine Theorie galten der Darstellung des Lebens, wie es ist. Der „Mann mit der Kamera“ ist ein Film ohne Zwischentitel, ohne Drehbuch, ohne Schauspieler und ohne Bühnenbild. Diese Tatsachen sind von solcher Bedeutung, dass sie dem Zuseher bereits im Vorspann mitgeteilt werden. Außerdem erfahren wir: „Diese experimentelle Arbeit versucht, eine internationale, absolute Kinosprache zu schaffen, basierend auf der völligen Unabhängigkeit von der Sprache des Theaters und der Literatur.“ Und so erzählt „Der Mann mit der Kamera“ auch keine Geschichte im herkömmlichen Sinn. Was wir sehen, ist das Leben in der Großstadt, vom morgendlichen Erwachen bis zur Freizeitgestaltung und – die Tätigkeit des Kameramanns, der immer mitten im Geschehen ist. Die Wiedergabe dieser Kollage geschieht aus ungewöhnlichen Blickwinkeln, mit Tricksequenzen, experimentell, manipulativ und manchmal auch rhythmisch montiert. Ein Höhepunkt des Films, der schon einen Ausblick auf Vertovs nächsten, den ersten russischen Tonfilm „Entuziazm“ gibt, ist die Sequenz mit dem visualisierten Klang: in rascher Abfolge und mithilfe von Mehrfachbelichtungen sind Lautsprecher, spielende Hände auf Musikinstrumenten und Zuhörerohren zu sehen. Im Finale wechseln die Bilder rhythmisch und im Stakkato, so dass man sich dazu wirklich Musik vorstellen kann. Das ist das einzige Mal, dass die später unterlegte Filmmusik, es gibt drei verschiedene zur Auswahl, wirklich stört. Ein reiner Bonus der DVD ist dagegen die Dokumentation über Vertovs Leben und Werk. Die beim Filmfestival Il Cinema Ritrovato in Bologna kürzlich preisgekrönte Doppel-DVD der Edition filmmuseum mit Vertovs „Entuziazm“ bietet diesen Meilenstein des frühen Tonfilms in der bei Gosfilmofond überlieferten Version und in der von Peter Kubelka restaurierten Fassung. „Entuziasm“ ist eine, natürlich sehr experimentelle, Dokumentation über den Fünfjahresplan und sehr viel deutlicher propagandistisch als „Der Mann mit der Kamera“. Der Film zeigt den Sieg des Kommunismus über das Ancien Régime und die Religion. Arbeiter und Maschinen sind seine Helden. Der Rhythmus der Bilder wird von Musik und Geräuschen pointiert. Dazu gibt es eine einstündige Dokumentation, in der Peter Kubelka erzählt, wie es zur Restaurierung, die eigentlich eine Neujustierung der Tonspur war, gekommen ist und wie er vorging. Diese äußerst spannende Doku vermittelt einen guten Einblick in Dziga Vertovs Konzept einer Tonfilmsprache. Wie „Der Mann mit der Kamera“ ist auch „Entuziazm“ die direkte praktische Anwendung eines revolutionären künstlerischen Konzepts, nicht nur das Auge, sondern nun auch das Ohr für den Film zu engagieren. Dziga Vertov: Der Mann mit der Kamera (1929), arte Edition, absolut Medien 1 DVD, Booklet, EUR 19,90 www.absolutmedien.de Dziga Vertov: Entuziazm (1930), Edition filmmuseum 2 DVDs, EUR 29,90 www.filmmuseum.at
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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