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Eine Teller ELEND: Alles ist möglich

Popkultur als Subversionsmodell ist schon längst passé. Selbst die Subkultur ist heute ein Industrieprojekt und der Underground trotz seines unverzichtbaren Identifikationsangebots letztlich ein Mythos, den die Kulturindustrie sponsert. Wenn wir heute von Pop reden, dann vor dem Hintergrund, dass wir es mit einem ökonomischen System zu tun haben, das immer vielfältigere Muster hervorbringt, diese hierarchisiert und sich in den Konkurrenzen zwischen ihnen aufrechterhält. Wer daher heute Pop als Subversionsmodell konservieren will, muss auch den Erhalt seiner kapitalistischen Voraussetzungen bejahen. Dass subkulturelle Gesten besonders in der bildenden Kunst eine starke materielle Basis haben zeigen Frauke Boggasch und Dominik Sittig anhand eigener Werke und jener einer weitgehend bekannten jüngeren Künstlergeneration. Die Idee zur Ausstellung liefert die von den beiden herausgegebene Publikation "Elend - Zur Frage der Relevanz von Pop in Kunst, Leben und öffentlichen Badeanstalten", die mit theoretischen Texten, literarischen Essays, Interviews und künstlerisch gestalteten Inserts nicht nur einen historischen Überblick sondern auch eine differenzierte Analyse des status quo liefert. Der Gegenwartsbefund, der sich aus der Ausstellung herauslesen lässt, ist vor allem einer: Alles ist Pop und Pop ist mitunter subversiv oder gebart sich zumindest so. Daniel Richter versetzt etwa dem konsumorientierten Konformismus einen radikalen Seitenhieb, wenn er dem H&M-Sweater-Model einen Hitler-Schnautzbart aufkritzelt. Jonathan Meese ruft diesmal nicht Wagner sondern Arthur Schnitzler an: "Liebelei" - der Titel jenes Wiener find-de-siècle-Dramas über außereheliche Liebe - steht brachialgewaltig auf manchen seiner Collagen und man mag darin einen gedanklichen Brückenschlag zur in der Hippi-Ära proklamierten freien Liebe sehen. In art-brut-artigem Duktus führen Bjarne Melgaard und Bernhard Martin in exzentrische Gedankenwelten ein. Ästhetiken der Science-Fiction versteht Marcus Selg in einem Tintendruck dramatisch in Szene zu setzen. Die Beiträge von Shinji Abe und NEKONOKO stehen stellvertretend für einen breit rezipierten Trend innerhalb der japanischen Gegenwartskunst: mit feinsinnigem Gespür für die verwendeten Materialien frönen sie einer kindlich erscheinenden Phantasiewelt voller kulleräugiger Wesen. Till Megerles Fotografien führen in schmuddeligen Jugendzimmern das "Einrauchen" als "Eimerrauchen" vor - Kiffen, die jugendliche Rebellionsattitüde per se. Neben einer Reihe abstrakter wie auch figurativer Malereien haben auch die Luftaufnahmen von Swimmingpools aus dem "Archiv Peter Piller" Eingang in dieses Ausstellungskonzept gefunden. In einer befreiten und befriedeten Gesellschaft mag schließlich alles Pop sein, Subversion sich der Mode überantwortet zu haben und selbst Mode geworden zu sein. Die Frage nach der Relevanz von Pop in sämtlichen Lebensbereichen scheint daher mehr denn je berechtigt. Denn wie nur lassen sich kritische Standpunkte überhaupt noch glaubwürdig formulieren?
Mehr Texte von Manisha Jothady

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Eine Teller ELEND
15.09 - 11.11.2006

LAYR Vienna (alte Location)
1010 Wien, Seilerstätte 2/26
Tel: +43 1 945 1791, Fax: +431 1 5238422
Email: gallery@emanuellayr.com
http://www.emanuellayr.com
Öffnungszeiten: Mi-Sa 12-18 h


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