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Ohne Gegentor zurecht nach Hause

Während die Italiener den Kölnern mit ihrem Autocorso noch lautstark mediterranes Verhalten im Straßenverkehr demonstrieren, kehrt in die fernsehtauglichen Biergärten der rheinischen Metropole gepflegte Gemütlichkeit ein. Das berühmt feurige Temperament der Eidgenossen scheint sich über die gesamte Gastgeberstadt der Partie Schweiz-Ukraine zu legen. Wo vor einer Stunde noch die Tricolore geschwenkt und gefeiert wurde, hält unversehens wieder der Alltag Einzug. Liefen nicht überall die Fernseher, niemand würde merken, dass heute doch irgendwie ein besonderer Tag ist. Die Partie ist denn auch in ihrem gesamten Verlauf von dieser Stimmung geprägt. Zu Beginn drücken beide Teams noch ein wenig Richtung gegnerisches Tor. In der 20. Minute setzt Shevchenko den Ball mit einem Kopfballaufsetzer nach Freitsoß gegen die schweizerische Latte, vier Minuten später revanchiert sich Frei mit einem Freistoß aus 25 Metern Entfernung. Danach wird für den Rest des Spiels das Mittelfeld aufs Genauste erkundet. Die Schweizer haben es allerdings auch nicht leicht. Immer müssen sie bergauf spielen. Und die Ukraine, deren Gesellschaft gerade erst mit der Aufholjagd begonnen hat, scheint sich als WM-Neuling zunächst mit etwas altbackenen Spielkonzepten aus der taktischen Mottenkiste an die Weltspitze herantasten zu wollen. Das reicht bis zu den Spielern. So muss der Mittelfeldspieler Maksim Kalinichenko offenbar die alte Frisur des tschechischen Starkollegen Pavel Nedved auftragen. Beide Mannschaften scheinen die Eigenschaften zu verkörpern, die ihren jeweiligen Nationen als Charakter zugeschrieben werden. Die Schweiz verfügt als Alpenvolk praktisch über keine Offensivkräfte, ist auf ihrem eigenen Terrain allerdings nicht zu schlagen. Die ukrainischen Kosaken hingegen beherrschen die weite Ebene, lassen sich jedoch nirgendwo dauerhaft nieder. Leider ergibt die Mischung aus Gelb (Ukraine) und Rot (Schweiz) keine orangefarbene Revolution. So plätschert das Spiel in die Verlängerung, und es gibt wohl keinen Zuschauer, der sich nicht zumindest für dieses eine Mal das Golden Goal zurückwünscht. Der Stadion-Kölner feiert sich indessen wieder einmal selbst und skandiert den Karnevalshit "Viva Colonia", das hilft schon beim eigenen Fußballverein nicht. Immerhin ? in der 100. Spielminute bringt es der Schweizer Vogel zu einem Torschuss. Bezeichnend für dieses todlangweilige Spiel ist erste Abseits durch einen ukrainischen Spieler ? in der 103. Minute. Das anschließende Elfmeterschießen gerät dann zur Tragikomödie. Zwar hält Zuberbühler den von Schevchenko zaudernd in Richtung Tor geschobenen ersten Elfer der Ukraine. Doch schaffen es seine eigenen Mannen nicht, auch nur einen einzigen Ball hinter den ukrainischen Torwart zu bringen. Das wars. Die Schweiz fährt nach Hause. Dabei ist sie nicht nur im Felde ungeschlagen. Sie hat auch während des gesamten Turniers kein einziges Gegentor während der Spielzeit kassiert. Leider oder zum Glück reicht das nicht zum Weiterkommen. Der Ukraine möchte man den Sieg allerdings auch nicht richtig gönnen, dafür war ihre Leistung einfach zu enttäuschend. Vielleicht wäre es besser gewesen, das Viertelfinalticket dieser Partie unter den bisherigen Verlierern zu verlosen. Australien oder Schweden etwa hätten damit mit Sicherheit etwas anzufangen gewusst.
Mehr Texte von Stefan Kobel

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