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Nach Berlin

"Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin", schallt es aus vielen Dutzend vor allem deutscher Kehlen. Und das, obwohl wir uns eigentlich ebendort befinden, genauer auf einer dieser Stadt so eigentümlichen Brachen in Berlin-Mitte, wo man - wie an so vielen möglichen und unmöglichen anderen Orten: Fanmeile beim Brandenburger Tor (mit bis zu 750 000 Besuchern eher der Trampelpfad), Sony Center am Potzdamer Platz (Johannes B. Kerner-Hauptquartier), Parks, Hinterhöfe, Gehsteige (nach anarchisch Berliner Art einfach eine Heurigenbank und einen Fernseher dorthin gestellt und fertig!) - für den Verlauf der Weltmeisterschaft eine Public-viewing-Gelegenheit improvisiert hat. Aber was soll`s, die in dem Schlachtruf sich äußernde geographische Verwirrung ist nur eine von vielen Paradoxien, die unser großer Nachbar gerade bereithält, und die es einem Exilösterreicher mit natürlichem Distinktionsbedürfnis so schwer machen, seine so fürsorglich gehegten und für unumstößlich gehaltenen Vorurteile weiterhin zu pflegen. Aber es ist nun einmal wirklich wahr: Die Deutschen haben augenscheinlich Spaß. Sie haben viel Spaß an der bisher - vollkommen ändern können sie sich eben doch nicht - exzellent organisierten Weltmeisterschaft, und sie haben noch mehr Spaß an ihren Fußballern. Und dass sie sich durchaus zu Recht an ihrer Mannschaft erfreuen ist vielleicht das Allerschlimmste dabei. Denn die so lange als "Rumpelfüßler" gescholtenen und von den Österreichern noch kürzlich (was ist schon ein Vierteljahrhundert?) aus einer anderen WM geschossenen deutschen Kicker haben doch glatt das Fußball-Spielen gelernt. Verkehrte Welt: Ausgerechnet diejenigen, die Fußball bisher nicht als Kunst ("Ja mei, wir sind halt keine Brasilianer", wie der Fußball-Weise Franz Beckenbauer einmal völlig richtig feststellte), sondern als Arbeit (miss)verstanden und sich arg humorlos zu einer strikt defensiven bzw. destruktiven ("Die Null muss hinten stehen", womit übrigens nicht der Tormann gemeint war) und in jedem Fall unansehnlichen Spielweise bekannt haben, zeigen plötzlich wirklich aufregenden Angriffs-Fußball. Also keine Rede mehr davon, wie früher den Gegner qua physischer Überlegenheit einfach zu erschöpfen, um dann - meist in der Nachspielzeit - den Ball auf unwürdigste und irgendwie sehr glückliche Weise ins Tor zu bugsieren; stattdessen kraftvolles, rasantes, technisch und taktisch versiertes Offensivspiel, das obendrein auch noch ziemlich effektiv ist, denn schließlich schießen die eigentlich polnischen Leihstürmer Klose und Podolski Tor um Tor. Und neuerdings hält - trotz gelegentlicher Unsicherheiten - zu allem Überdruss auch noch die zuvor beängstigend löchrige Abwehr, sodass sich Deutschland nun tatsächlich zu einem veritablen Titelfavoriten gemausert hat: die Vorrunde souverän überstanden, und jetzt die Schweden, die nicht den Hauch einer Chance hatten, im Achtelfinale mit beeindruckender Leistung 2:0 heimgeschickt. Wohin soll das noch führen? Vielleicht wirklich nach Berlin ...
Mehr Texte von Peter Kunitzky

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