Iris Meder †,
Zensurierte Bildergrüße. Familienfotos russischer Kriegsgefangener 1915-1918: Geraubte Bilder
Die Frage, was ein Volkskundemuseum heute leisten kann, beantwortet man in Wien mit Forschungen zur Alltagskultur. Im Zentrum der Ausstellung, die ausgerechnet in Zeiten der Missachtung der Genfer Konventionen durch die USA zu sehen ist, stehen skurrile und eher peinliche Überbleibsel habsburgischen Forschens und Sammelns.
Namensgebend ist ein Konvolut russischer Familienfotos, an Brüder, Gatten und Väter geschickt, die im Ersten Weltkrieg im Lager Wieselburg als Kriegsgefangene unter oft katastrophalen hygienischen Umständen interniert waren. Fotos des 102 ha großen und mit zigtausend Insassen völlig überfüllten Lagers ergänzen die Bilder ebenso wie pseudodokumentarische Filmaufnahmen aus dem Jahr 1915, die unwillkürlich die Propagandafilme zum Ghetto Theresienstadt ins Gedächtnis rufen, wo sich im übrigen im Ersten Weltkrieg eines der Lager befand, in denen gedreht wurde.
Die teilweise mit Grüßen versehenen Fotos erreichten ihre Adressaten nicht. Sie wurden von der Lagerleitung einbehalten, aber korrekt katalogisiert und später in die Bestände des Museums eingegliedert. Dort konnten sie als anschauliche Ergänzungen zu den ebenfalls ausgestellten Gipsmoulagen dienen, die Anthropologen von den Köpfen der (anonymen) lebenden Lagerinsassen abnahmen. Sprech- und Gesangsproben der Gefangenen hielten die Mitarbeiter des 1899 gegründeten Wiener Phonogrammarchivs fest. Die Fotografien werden in diesem Zusammenhang zum Zentrum einer Dokumentation rassischer Untersuchungen am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Gleichzeitig wird der ikonische Charakter der Fotografien und deren Einbehaltung als Bilder- und damit Identitätsraub der modernen Art thematisiert. Was aus den schmerzlich vermissten Iwans, Nikolais und Sergejs wurde, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Wie viele Gefangene in den Lagern umkamen und wie viele zurückkehrten, darauf hätte man aber doch gerne eine Antwort gehabt.
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Zensurierte Bildergrüße. Familienfotos russischer Kriegsgefangener 1915-1918
31.01 - 24.03.2002
Volkskundemuseum Wien
1080 Wien, Laudongasse 15-19
Tel: +43 1 406 89 05, Fax: +43 1 408 53 42
Email: office@volkskundemuseum.at
http://www.volkskundemuseum.at
Öffnungszeiten: Di-So 10-17 h
31.01 - 24.03.2002
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