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Anatoly Shuravlev - Infrathin, Mladen Bizumic - The Crystal Memorial: Aufklärungsversuche

"Look at" titelt das großformatige Schwarzweißfoto, das den Auftakt zu Anatoly Shuravlevs Präsentation gibt. Schauen wir also hin und sehen: Ein Auge, das in eine undefinierbare Lichtquelle blickt. Oder fixiert es eine Rauchschwade, die aus dem finsteren Bildhintergrund dringt? Shuravlev spricht uns direkt an, doch verweigert er zugleich eine Verständigung im üblichen Sinn. Denn was sehen wir eigentlich? Eine Frage, die uns auch bei weiteren Betrachtungen nicht aus dem Kopf gehen will. "Save" ist da beispielsweise zu lesen. Zehn-Millimeter-Prints von Bildern aus dem Fernsehen ergeben als Bildpunkte dieses und andere Wörter, allesamt aufgeklebt auf expressive Wandmalereien in grauem Acryl. Erst in der Nahsicht geben die Mikro-Fotografien das Konterfei von Marlene Dietrich, Klaus Kinsky und anderen Hollywoodgrößen preis. Ganz schön aufwändig. Und weiters? Weiters nichts, die Identifikation des Sichtbaren führt ins Leere. Mit Fotografien von Malereien, die uns "Kill", "Live" und "Why" entgegen schreien, zeigt uns der gebürtige Moskowiter was mit Farbe und Pinsel nicht geht, mit technischer Reproduktion aber schon, nämlich: Vergrößern. Und zu allem Überdruss wird für all dies auch noch Marcel Duchamps Begriff des "infrathin" bemüht, der die Trennung zwischen zwei Dingen meint und uns sagt, dass nicht das Readymade, sondern die Debatte darüber Kunst ist. Aber was will uns Anatoly Shuravlev kommunizieren, konfrontiert er uns doch mit Oberflächenreizen, die kaum Gehaltvolles suggerieren? Er möchte uns wohl sagen, dass es nicht darum geht "was wir sehen", sondern "dass wir sehen"? Danke für den Hinweis! Wenn Godards "Weekend" (1967) einer der grellsten Filme ist, die je auf Zelluloid gebannt wurden, so zeigt Mladen Bizumic, dass er durch Unschärfen und farbliche Veränderungen einer Sequenz des Originals diesen Effekt noch toppen kann. Da wo Godard sich auf Mozart berief, spielt der Belgrader, Jahrgang 1977, die orchestrale Version eines Songs der Rolling Stones kontrapunktisch ab. Als radikale Kulturkritik seiner Zeit gilt Godards Meisterstück bis heute. Bizumic? als "Colonial Atmosphere" betiteltes Video vermag zwar die Stimmung von Ungewissheit nachzuvollziehen, die die Vorlage bestimmt, gefällt sich vor allem aber in formalem Geplänkel. Das trifft auch auf die Le Corbusier zitierenden Collagen zu. Über die Moderne im Zusammenhang mit Kolonialismus und westlichen Wertvorstellungen nachzudenken, verlangt halt etwas mehr ab als das ästhetische Verfremden von ideologisch ohnehin schon längst besetzten Bildern.
Mehr Texte von Manisha Jothady

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Anatoly Shuravlev - Infrathin, Mladen Bizumic - The Crystal Memorial
01.03 - 22.04.2006

Charim Galerie
1010 Wien, Dorotheergasse 12
Tel: +43 1 512 09 15, Fax: +43 1 512 09 15 50
Email: info@charimgalerie.at
http://www.charimgalerie.at
Öffnungszeiten: Di-Fr: 11-18h
Sa: 11-14h


Ihre Meinung

2 Postings in diesem Forum
Stellungnahme: Colonial Atmosphere/Mladen Bizumic
Angelika Reichert | 14.03.2006 12:29 | antworten
Sie kritisieren formales Geplänkel, doch mit Ihrem Wissen über die Arbeit des Künstlers sowie seine Biografie, tun Sie genau dieses. Ihre persönliche Meinung ist unanfechtbar und hat ihre Berechtigung, doch in der Öffentlichkeit und in Ihrer Position als Journalist tragen Sie Verantwortung doch wenigsten Fakten richtig darzulegen. Wie zum Beispiel: Herr Bizumic ist in Neuseeland aufgewachsen, und hat nie in Beograd gelebt. Aber das nur so nebenbei. Es ist nicht nur eine Sequenz des Orginals, sondern die einzige in diesem Film, die hervorsticht nicht allein durch die Geschichte sondern vorallem durch ihre Form. Also im übertragenen Sinne das sich Umsehen, Beobacheten, Innehalten und Reflektieren. Im Video noch überspitzer und pointierter dargestellt, das Erwachen durch langsamer werden. Das ist das Konzept nicht nur im Video, sondern auch im Soundtrack der vier mal langsamer abgespielt wird. Wer in den Collagen nur das "Verfremden von ideologisch ohnehin schon längst besetzten Bildern" sieht, der hat nicht verstanden, dass sie Spannung und Strukturen lösen und mit fixen Formen, Vorstellungen, ect. in jeder Hinsicht brechen. Die Arbeit von Bizumic ist subtil und komplex, Ihre Stellungnahme erscheint mir oberflächlich und autoritär und paradoxer Weise ist es genau das was Godard zu bekämpfen versuchte.
CharimGalerie: Anatoly Shuravlev - Infrathin, Mladen Bizumic - The Crystal Memorial
Manisha Jothady | 16.03.2006 02:14 | antworten
Vielen Dank für Ihren konstruktiven Kommentar. Dass Mladen Bizumic in Neuseeland aufgewachsen ist, wo er auch meistenteils lebt, ist mir nicht entgangen und hätte im Artikel durchaus erwähnt werden können, selbst wenn das für das Verständnis seiner Arbeit nicht ausschlaggebend ist. Aber wenn man schon das Thema Herkunft anschneidet, soll man das auch ganz korrekt machen, da haben Sie vollkommen Recht. Was die von Bizumic ausgewählte Filmszene angeht, so müssen wir, denke ich, doch grundsätzlich davon ausgehen, dass nicht alle BesucherInnen der Ausstellung Godards „Weekend“ kennen. Ebensowenig ist der verwendete Sound identifizierbar. Die Auswahl besagter Filmszene wie auch der Musik muss daher unweigerlich beliebig anmuten. Ohne die Hinweise darauf, die ja ausschließlich durch den Begleittext gegeben und auch dann nur einem speziell versiertem Insiderkreis zugänglich sind, stellt sich für mich die Frage, was uns Bizumic in seiner Bearbeitung tatsächlich näher bringen will – obschon ich dieser Arbeit in meiner Kritik ja zugestanden habe, dass sie das Gefühl von Ungewissheit zu vermitteln versteht – eine Grundstimmung, die sich für mich übrigens auch in anderen Filmszenen von „Weekend“ zeigt. Sie schreiben, dass Bizumic’ Collagen „Spannung und Strukturen lösen und mit fixen Formen, Vorstellungen, ect. in jeder Hinsicht brechen.“ Was meinen Sie damit genau? Das sind recht verallgemeinernde Vokabel, die so wunderbar in die nach wie vor anhaltende Remodernismusdebatte passen, in die sich Bizumic Schaffen durchaus einreiht. Mir scheint, dass es in den Collagen um Wertekolonialismus geht, das wäre jedenfalls ein Aspekt, der mich an diesen Arbeiten interessieren würde. Aber wird das derart auch wirklich sichtbar? Sehen sie das so?

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