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Grausamkeit als Geste

Unter den PionierInnen des Kunstkinos der Achtziger war sie die früheste: Ulrike Ottinger, Künstlerin, Fotografin, Theatermacherin, Filmemacherin mit Basis in Berlin. Irgendwie ist es gekommen, dass man die Namen Rebecca Horn oder Peter Greenaway heute besser kennt. Vielleicht war sie ihrer Zeit einfach zu weit voraus: Was an dreien ihrer Filme, die derzeit in der Ursula Blickle Videolounge in der Kunsthalle Wien laufen, an KünstlerInnen der Achtziger und auch der Neunziger wie Peter Greenaway, David Lachapelle, Floria Sigismondi, Bettina Rheims oder Matthew Barney erinnert, hat Ulrike Ottinger bereits um die Mitte der Siebziger gemacht. Auf den ersten Blick erscheint alles recht manieriert. Da bewegen sich bunt und wüst kostümierte, geschminkte Gestalten, teilweise mit künstlichen Körpererweiterungen ausgestattet, langsam und schrittweise in einer Art bizarrer Prozession. "Superbia - Der Stolz" (1986), heißt der Film, der orthodoxe Jünger der Moderne zu drei Ave Malewitsch oder fünf Barnett Unser flüchten lassen mag. Doch am Ende wird man nicht umhin können, den visuellen Übertreibungen der Ulrike Ottinger ihre Sinnhaftigkeit zuzubilligen. Die bildlichen Verdichtungen speisen sich aus einem Fundus von teils dokumentarischen Fotos, denen eine Ausstellung in der Ursula Blickle Stiftung und ein eben dazu erschienenes Buch gewidmet sind, und einer unerhört reichen Erfindungsgabe. Es ist ein schmaler Grat zwischen Schönheit und Grausamkeit, auf dem Ulrike Ottinger sich in ihren fiktionalen Filmen und Fotos bewegt. Ähnlich denen der Salonmaler des 19. Jahrhunderts sind ihre Werke Allegorien, immer wieder im Rückgriff auf Bilder der älteren Kunst bis zur Antike entstanden, voller Schönheit und reich an Details; mitunter können sie aber auch eine Herausforderung an die Sehgewohnheiten ihrer RezipientInnen sein. Ähnlich den Dadaisten und Surrealisten greift Ulrike Ottinger auf ein vorbewusstes Bildgedächtnis zu. Sie spielt mit Archetypen ebenso wie mit gängigen Klischees. Die Genderthematik zieht sich durch ihr Werk, doch auch die Thematik der medialen Inszenierbarkeit oder die Kritik am Einheitswahn von Schönheitsnormen. Dabei macht sie es ihrem Publikum auch sonst nicht leicht: Sechs Stunden dauert der Dokumentarfilm "Südostpassage" für die documenta 11, mehr als drei Stunden ihr neuester Spielfilm "Zwölf Stühle", der ab Jänner für ein paar Tage im Top Kino in Wien zu sehen ist. Die Gelegenheit ist günstig: zu einer raren Begegnung mit einem legendären und sehr eigenwilligen Konzept. Das Buch: Ulrike Ottinger. Bildarchive. Fotografien 1970 - 2005, Verlag für moderne Kunst, Nürnberg 2005, ISBN 3-938821-14-0, 528 Seiten, 433 Abb., 45 Eur / 60 USD Bis Ende Dezember 2005 in der Kunsthalle (ursula blickle videolounge): "Usinimage", Deutschland 1987, 35 mm, Farbe, 10 Minuten "Superbia - Der Stolz", Deutschland 1986, 35 mm, Farbe, 15 min "Das Exemplar. Groteske nach Valentin Katajew", Deutschland 2002, SW, 18:26 min, deutsche oder englische Zwischentitel Im Top Kino (1. bis 12. Jänner 2006, 20:00 Uhr): "Zwölf Stühle", Deutschland 2004, Farbe, 198 Minuten, Russisch und Deutsch, OmU www.ulrikeottinger.com
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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