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Neue Produktion: Müde Moderne

Unter dem ökonomischen Titel "neue produktion" präsentiert der Hamburger Kunstverein im Augenblick drei Positionen zeitgenössischer Kunst aus Zentren der westlichen Kunstszene (New York, London, Berlin). Wäre man nun geneigt, der Schau aufgrund der geographischen Streuung einige Repräsentativität zusprechen zu wollen, sähe man sich unweigerlich zu dem Befund veranlasst, dass die aktuelle Kunstproduktion sich der Vielfalt begeben, also die artistische Diversifikation eingestellt hat und sich scheinbar im Banne eines einzigen Gegenstandes befindet: der kaum kritischen, aber jedenfalls kraftlosen Auseinandersetzung mit der Moderne bzw. dem Modernismus. Ganz im Sinne der auch schon über ein Vierteljahrhundert alten Appropriation Art entwirft der Amerikaner Wade Guyton am Computer einfache geometrische Muster, deren erahnbare Vorbilder in der Sphäre konstruktivistischer Formfindungen zu suchen sind. Viele der derzeitigen Gemälde nun wirken wie vage Zitate der Kreise eines Malewitsch oder der Streifen eines Buren oder wie die fruchtlose Kopulation beider, während sie, ebenso wie der übergroße Buchstabe "U" in anderen Bildern, der dort als Shifter, als leeres Zeichen dient, eigentlich die fehlende Referenzialität oder Bedeutungsoffenheit der Formen vorzuführen haben. Die Unsinnlichkeit und vor allem Spannungslosigkeit dieses linguistischen Spiels wird jedoch dadurch ein wenig gebrochen, dass Guyton die Vorlage nicht eigenhändig malerisch übersetzt, sondern mittels eines gewöhnlichen Tintenstrahldruckers auf Leinenstoff übertragen lässt, weshalb - aufgrund der technischen Unvollkommenheit des Geräts - der Zufall ans Werk geht und die ursprünglich abgezirkelten Geometrien in unkontrollierbarer Weise aufgeweicht werden (Farbgerinnsel, verwaschene Ränder etc.). Die in London ansässige Daria Martin verhandelt dagegen die Sache der Moderne im Medium des Films, indem sie vorwiegend die Avantgarde umtreibende Fragen wieder aufgreift und erstaunlich unbeschwert reformuliert. Neben "Loneliness and the Modern Pentathlon", der als Allusion auf "Die Einsamkeit des Langstreckenläufers", einen Meilenstein des britischen Free Cinema von 1962, mit einer surrealen Melange aus Sport, Tanz und Performance aufwartet, nimmt sich insbesondere der zweite Film, "Soft Materials", eine episodenhafte, ballettartige und nicht frei von Erotik inszenierte Begegnung zwischen Mensch und Maschine, in affirmativer Weise ganz des technizistischen Traumes von der Verschmelzung dieser beiden Substanzen an. Klaus Weber schließlich, der in seiner Arbeit gerne die Natur zu ihrem Recht kommen lässt, könnte mit seiner hermetischen Installation "Allee der Schlaflosigkeit", einem begehbaren Modell einer tatsächlich existierenden Straße in Südkolumbien, in dem echte Hummeln den Nektar psycho-aktiver Pflanzen (sogenannter Engelstrompeten) aufsammeln, der Nachtseite der Moderne, also der rauschhaften Überschreitung der das Individuum immer stärker bestimmenden zivilisatorischen Zwänge, ein Denkmal setzen. Der schwere und süßliche Duft aber, der von dieser Kunst ausgeht, ist der des Todes.
Mehr Texte von Peter Kunitzky

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Neue Produktion
29.10.2005 - 08.01.2006

Kunstverein in Hamburg
20095 Hamburg, Klosterwall 23
Tel: +49 40 33 83 44, Fax: +49 40 32 21 59
Email: hamburg@kunstverein.de
http://www.kunstverein.de/
Öffnungszeiten: Di-So 12-18 h


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