Werbung
,

Das wahre Leben

"Willst du diesmal mit?" fragt der Busfahrer den Mann, der auf der Bank an der Haltestelle hockt, als wäre er dort festgewachsen. Einige Tage und sehr viele Touren später wird der Mann sich endlich erheben und den Bus doch noch nehmen. Für den Busfahrer kommt dieser Moment einer Erlösung gleich: Er hat es endlich richtig gemacht. Aber was eigentlich? Diese kleine Geschichte ganz am Rande der Handlung von "Niceland" transportiert schon im Kern das zentrale Thema des Films des isländischen Regisseurs Fridrik Thór Fridriksson. Denn eigentlich handelt der subtil-philosophische, tragikomische Film von Jed, der wie ein Held im Märchen eine Aufgabe lösen muss, um seine an akuter Traurigkeit erkrankte Liebste wieder zu gewinnen: Er muss herausbekommen, worum es im Leben wirklich geht. Wie im Märchen wird ihm erst geholfen, nachdem er selbst geholfen hat - eine schöne Botschaft für einen Film, der im zweiten EU XXL-Filmfestival zu sehen ist. Denn dort geht es um das Leben der Menschen in allen Teilen Europas, den zentralen und den peripheren, den urbanen wie den ländlichen, reflektiert im Spiegel des europäischen Filmschaffens, von Fiktion bis Dokumentation. Das Leben der kleinen Leute steht auf dem Programm, dargestellt von anerkannten wie auch kommenden MeisterInnen des europäischen Films. 22 Arbeiten zählt das Hauptprogramm und dazu kommt noch die erste Personale in Österreich der belgischen Regisseure Jean-Pierre und Luc Dardenne, deren jüngstes Werk, "L`Enfant", dieses Frühjahr in Cannes die Goldene Palme erhielt. Jahr für Jahr entstehen überall in Europa individuelle, innovative Filme, die lokal und auf Festivals erfolgreich sind, aber es nur in Ausnahmefällen international in ein reguläres Kinoprogramm schaffen. Was uns dabei alles entgeht, dafür gibt EU XXL einen kleinen Einblick. Es geht um Geschichten vom wahren Leben in der heutigen Welt. Manche von ihnen sind beschwingt erzählt wie in André Téchinés Film "Les Temps qui changent", eine skurrile Liebesgeschichte, in der Gérard Depardieu nach Jahrzehnten der Trennung um seine Jugendliebe (Catherine Deneuve) kämpft. Oder "Love & Happiness" der Schwedin Kristina Humle, eine feine Erzählung über die Enge der Kleinstadt und den Auszug ins Leben. Andere Geschichten tun richtig weh. In "L`Enfant" der Dardennes sieht man einen jungen Kleinkriminellen sein neugeborenes Kind verkaufen. In der finnischen Produktion "Frozen Land" (Aku Louhimies) um eine gefälschte Banknote endet jede Geschichte in Verzweiflung und Untergang. In dem slowenischen Film "Suburbs" blickt Regiseur Vinko Möderndorfer tief in die ganz normale menschliche Ambivalenz einer Runde verpfuschter Existenzen, die sich die Zeit damit vertreiben, Tiere zu quälen und die Nachbarn im Schlafzimmer zu filmen. Ein Dokumentarfilm sei noch empfohlen: "The Sky Turns" der Spanierin Mercedes Álvarez über das verschwindende nordspanische Dorf, in dem sie selbst als letztes Kind geboren wurde. Der Film ist zugleich Porträt eines Ortes und historisch-philosophische Recherche. Der Erkenntnisgewinn ist hoch. Der Unterhaltungswert auch. 23. bis 29. November 2005 Krems / Wien www.eu-xxl.at
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
blöde frage
txomin garraigoitxea | 24.11.2005 12:14 | antworten
warum hat ein französischer film einen franz. titel, aber ein spanischer film einen englischen titel???

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: