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Keith Haring: Untitled (Bar / Dog), 1984
80 Blatt, 80 farbige Abbildungen, Hochformat, gebunden, 7 x 10 cm
© Estate of Keith Haring, Foto: Alistair Overbruck |
Flippbuch, Magic Book, Folioskop oder gemeinhin auch Daumenkino. Der Fülle an Namen (und es gibt deren noch einige mehr) für dieses eigentlich so unprätentiöse Phänomen entspricht auch die geradezu unnatürliche Zahl seiner Zeugen, denn es ist die Ausgeburt gleich dreier Künste: der Buchkunst, der Gaukelkunst und nicht zuletzt der Kinokunst. Der genealogische Status des "Kindes" sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass diesem medialen Wechselbalg von (Patent-)Amts wegen immerhin schon eine knapp 150 Jahre alte Geschichte zugehört, deren letztes Drittel aber erst eine wirkliche Affinität zur bildenden Kunst aufweist.
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© Volker Gerling |
Der Kunsthalle Düsseldorf gebührt nun das veritable Verdienst, die erstaunlich reichhaltige Geschichte dieses bisher doch eher unbeachtet gebliebenen Mediums erstmals umfänglich aufgearbeitet zu haben. Die Ausstellung widmet sich dabei naturgemäß vorrangig der zeitgenössischen künstlerischen Auseinandersetzung (insgesamt werden über 170 Künstler gezeigt), dennoch versäumt man es zur Einstimmung nicht, auch ausgewählte historische Preziosen - so etwa der Kinopioniere Gebrüder Skladanowsky - samt den um die Jahrhundertwende aufkommenden Vorführapparaturen zu präsentieren, die die als Spielzeug, Scherz- oder Werbeartikel verwandten Objekte zusehends einem mechanischen Takt unterwarfen und sie damit eines ihrer hervorstechendsten Merkmale, ihrer haptischen Qualität, beraubten. Dieser Depravation entgehen im Übrigen leider auch die Ausstellungsmacher nicht ganz, die die kostbareren Exponate vor dem Zugriff der Allzuvielen bewahren (müssen), indem sie das Abspielen der Flippbücher auf winzige Bildschirme verlegen, womit sie indes wenigstens das besondere Format und die damit einhergehende individuelle Rezeptionweise, weitere Charakteristika des Daumenkinos, zu erhalten wissen.
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Laercio Redondo & Birger Lipinski
Final Cut, 2004, 14 Blatt, Querformat, links geklammert
6,3 x 4,5 cm © Laercio Redondo & Birger Lipinski
Foto: Alistair Overbruck |
Die übrigen Sektionen der Ausstellung beschäftigen sich mit den bevorzugten Genres des Mini-Kinos, worunter zuvorderst - eine Parallele zur (frühen) Photographie - das Portrait (Elliott Erwitt) und die erotische Darstellung (Andy Warhol) fallen, beziehungsweise seiner installativen Erweiterung in den Raum, wobei hier vor allem Volker Gerling zu nennen ist, der es als vagabundierender Daumenkinohändler mittlerweile zu einiger Bekanntheit gebracht hat. Als vielleicht spannendste Abteilung erweist sich allerdings jene, die veranschaulicht, wie das Daumenkino in das Blickfeld neoavantgardistischer Strömungen und deren Strategien - expanded cinema und Künstlerbuch - gerät, die anhand der Dekonstruktion dieses hybriden Mediums die jeweils zugrunde liegenden Strukturen freizulegen trachteten (Robert Breer, Richard Griffin; Jan Voss). Was gerade im Falle des Buches erst dazu führte, dass es auch als technisches Medium, gleichsam als Blättermaschine wahrgenommen wurde: Die Kunst als Erfinderin des Buches also.