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Portrait im Aufbruch - Photographie in Deutschland und Österreich 1900-1938: Seelen in Silberschichten

Manchmal kann sich der Kritiker nicht erwehren, das Verfahren seiner Beweisführung abzukürzen und einfach zu sagen, dass eine Ausstellung nicht nur genau so ist, wie sie sein soll, nämlich gut, sondern noch mehr: wunderbar gelungen, ungewöhnlich und sehenswert. Geht es beispielsweise um Fotografie aus Deutschland und Österreich zwischen 1900 und dem neuralgischen Jahr 1938, so müsste man nicht von vornherein euphorisch sein. Es lässt sich auch bei der Präsentation des besten Materials genug falsch machen. Doch die Ausstellung in der Albertina ist wirklich schön. Das nur vorweg. Vielleicht liegt es an der Wahl der Sujets. Es geht um Porträts, Fotos von Menschen, die den Betrachter ganz oft, wenn auch nicht immer, ansehen. Oder wenigstens meint man, sie täten es. Tatsächlich haben diese Menschen, seien es Celebrities aus Kunst und Kultur wie Gustav Klimt und Stefan George oder einfach Unbekannte, vor vielleicht schon über hundert Jahren in eine Kamera gelinst - oder auch daran vorbei. Was von ihnen blieb, ist eine Mortifikation, ein Abbild ihres Schattens auf einem hellen Stück Papier. Bei Betrachtung der Details wie Fältchen, der Linie eines Nackens oder dem kecken Schwung einer Lippe kann man sich eines Gefühls nicht erwehren, das vielleicht die Ausgräber von Pompeji beim Anblick der in erstarrter Lava als Negativabdrücke erhalteten Körper der Opfer des Vesuv-Ausbruchs im Jahr 79 überkommen hat. Man fühlt sich wie vor den stummen Überresten von Menschen, die gelebt haben, aber (so) nun nicht mehr existieren. Diesen Effekt haben alte Fotos von Menschen oft, besonders, wenn sie künstlerisch sind. Und das trifft auf die in der Albertina gezeigten Porträts zu. In einem schönen Bogen wird in der Ausstellung der Wandel der Darstellungsmodi sichtbar gemacht, von der Tendenz zur Individualisierung über Augenblicksbilder und eine durch die neue ästhetische Erfahrung des Stummfilms aufgekommene Vorliebe für Nahaufnahmen bis zur Vereinnahmung der Porträtfotografie zur Behauptung rassistischer Thesen. In der spannendsten Abteilung geht es um die Selbstporträts der FotografInnen, die anlässlich der Abbildung ihres eigenen "Schattens" zur kreativen Höchstform fanden. Und genau das ist es, was diese Ausstellung so einprägsam macht: Die künstlerischen Entwürfe dürfen für sich selber sprechen. Das Primat des Visuellen geht von den Bildern aus, die hier mehr sind als bloße Ausstattungsstücke in einem der beliebten Namedropping-Spektakel. Diese Ausstellung hat nichts Glattes und ist bestimmt nicht massentauglich. Sie ist das Gegenteil von Kitsch.
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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Portrait im Aufbruch - Photographie in Deutschland und Österreich 1900-1938
01.07 - 09.10.2005

Albertina
1010 Wien, Albertinaplatz 1
Tel: +43 1 534 83 -0, Fax: +43 1 533 76 97
Email: info@albertina.at
http://www.albertina.at
Öffnungszeiten: Tägl. 10-18h, Mi 10-21 h


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